Montag, 25. Februar 2008

Nicole Jamet/Marie-Anne Le Pezennec: Dolmen (Knaur)

Die Polizistin Marie Kermeur kehrt nach Lands'en zurück, um zu heiraten. Doch auf der steinigen Insel vor der bretonischen Küste ist sie nicht willkommen, stellt sie bald fest. Kurz vor der Hochzeit wird obendrein ihr Brautschleier von einer sterbenden Möwe mit Blut befleckt - ein böses Omen, wie nicht nur die Braut meint. Am nächsten Morgen findet Marie am Strand die Leiche ihres Bruders. Es bleibt leider nicht die letzte - und als Marie versucht, den Mörder zu finden, kommen alte Geschichten ans Licht, die viele Insulaner lieber nicht im Detail kennen wollen. Ein Krimi mit Gruseleffekt, der immer wieder überrascht, und den Leser bis zur letzten Seite irritiert. Toll!

Prädikat: ****

Samstag, 23. Februar 2008

Christian Strich (Hg.). Lobet den Herrn! Gebete großer Dichter und Denker (Diogenes)

Dieses schmale Büchlein versammelt Gebete großer Dichter und Denker, von den Psalmen bis zu Nietzsche und Fontane. Eine Auswahl voller Poesie, die das Unsagbare sagbar und das Unsichtbare fühlbar macht. Besonders die grandiosen Texte der Barockdichter sollte man regelmäßig lesen. Und die vorangestellte Predigt von Thomas Merton - es steht unspektakulär "Vorwort" darüber - sollte man regelmäßig allen Konfessionen von den Kanzeln verlesen lassen. Ein Brevier zum Verschenken - und zum Behalten.

Prädikat: *****

David Skibbins: Der Tod lädt zum Tanz (Knaur)

Was passiert, wenn jemand, der sein ganzes Leben lang unter falschen Identitäten auf der Flucht war, festellen muss, dass ihn niemand verfolgt? Ein faszinierender Plot für eine Geschichte. Nur schade, dass der Autor dieses Kriminalromans das gar nicht bemerkt. Er verliert sich in tausend Details und brennt ein Feuerwerk an Special Effects ab - wunderbar, ein netter Krimi, kann man auch im Bett gefahrlos lesen. Muss man aber nicht. Denn an diesem Buch ist nicht einmal der Klappentext mit Sorgfalt geschrieben.

Prädikat: **

Martin Suter: Der letzte Weynfeldt (Diogenes)

Was ist Identität, und wie verändert sie sich? Wer "Der letzte Weynfeldt" gelesen hat, der wird über diese beiden Fragen möglicherweise neu nachdenken. Anlass dazu bietet Autor Martin Suter gleich mehrfach. Da wäre der Titelheld, Adrian Weynfeldt, finanziell mehr als hinreichend abgesichert, stets im korrekt sitzenden Maßanzug, Kunstexperte aus Leidenschaft - und wegen der Langeweile. Gegen diese helfen auch diverse Freundesrunden, über die Wochentage gleichmäßig verteilt. Für seine jüngeren Freunde fungiert Weynfeldt notfalls als Mäzen; freundlich, aber zugleich mit professioneller Distanz. Und nach einer Jugendliebe, die irgendwann erloschen war, hat Weynfeldt den engeren Kontakt zu Damen wohl eher gemieden. In die Routine seines Lebens zwischen Kunsthandel, Tafelrunden und geruhsamer Einsamkeit aber kommt Bewegung, als er - ganz gegen seine Gewohnheit - eine junge Frau mit nach Hause nimmt: Lorena, als Model gescheitert und auch sonst nicht gerade aus bestem Hause, bringt sein Leben gründlich durcheinander.
Suter gelingt, in bester schweizerischer Tradition, erneut ein brillanter Roman um Schein und Sein. Das Verwirrspiel um ein berühmtes Gemälde, das zur Auktion kommen soll, und dessen exzellente Kopie, die der Besitzer des Bildes gern als das Original ausgeben möchte, ist letztendlich nur eine Chiffre für das Chaos in den Köpfen. Wer aber keine Lust hat, sich darauf einzulassen, der kann das Buch auch einfach nur so lesen; es ist hervorragend geschrieben, und spannend obendrein.

Prädikat: *****

Sonntag, 17. Februar 2008

Daniel Vásquez: Schwarzer Mohn (BLT)

Michael Roddick, Chef eines kleinen Restaurants in Barcelona, holt seine Vergangenheit ein: Zur Zeit des Kalten Krieges nämlich stand er als Agent beim BND im Dienst. Was nun geschieht, das zwingt ihn zur Auseinandersetzung mit einem Projekt, das seinerzeit gescheitert war. Die Russin Natascha, die er nach Deutschland schleusen wollte, ist tot. Nur ihre Tochter Elena hat überlebt. Roddick hat sie an Kindes statt angenommen. Nun, viele Jahre später, scheint sie in tödlicher Gefahr. Doch was als Agententhriller begann, das erweist sich letztendlich als Inszenierung. Eine gut geschriebene, bis zum Schluß spannende Geschichte, die hier empfohlen werden kann.

Prädikat: ****

Martin Suter: Der Teufel von Mailand (Diogenes)

Sonia ist irritiert: Plötzlich fühlt sie Gerüche, hört Farben oder sieht Geräusche. Um diesem Durcheinander und ihrem gewalttätigen Ex-Ehemann zu entrinnen, der nach einem Mordversuch derzeit in der Psychiatrie weilt, verdingt sie sich wieder als Physiotherapeutin - und zwar in einem neueröffneten Hotel, hoch droben in den Schweizer Bergen. Doch die Idylle trügt - wie bei Suter nicht anders zu erwarten. Und schon bald sieht sich Sonia erneut bedroht. Brillant, doppelbödig, der perfekte Thriller - nicht als Bettlektüre zu empfehlen. Denn es besteht die Gefahr, dass der Leser, fasziniert von diesem Buch, das Einschlafen total vergisst.

Prädikat: *****

Paulo Coelho: Die Hexe von Portobello (Diogenes)

Was macht eine Frau zur Hexe? Paulo Coelho gibt in Buchstärke Antwort auf diese Frage - und lässt dabei kaum ein Klischee aus. So ist die Heldin dieses Romans eine rumänische Zigeunerin, die als Baby von libanesischen Christen adoptiert wurde. Die Geschichte der Sherine Khalil, die sich selber Athena nennt, benötigt soviel Zufall, dass es selbst ein Routinier wie Coelho nicht gänzlich schafft, den Leser vergessen zu machen, wie konstruiert und künstlich seine Story daherkommt. Religionsphilosophie, verpackt in Romanform - das ist halt ein Risiko: Man merkt die Absicht, und man liest verstimmt.

Prädikeit: ***

Donnerstag, 14. Februar 2008

Tim Green: Tödliches Kalkül (Knaur)

Ein Staranwalt in New York, kurz vor dem letzten großen Schritt auf dem Wege an die Macht. Doch da klicken Handschellen, und Raymond White wandert in Gefängnis: Lebenslänglich, für einen Mord, den er nicht begangen hat. 18 Jahre verbringt der Jurist in Haft. Genug Zeit zum Nachdenken. Dann gelingt ihm die Flucht, und die Zeit der Rache beginnt - denn White weiß mittlerweile genau, wo er die Täter suchen muss... Ein superfieser Thriller, rabenschwarz und gespickt mit bösen Überraschungen. Leider bemüht der Autor einige Zufälle zuviel, was das Vergnügen des Lesers schmälert. Aber ansonsten: Spannung bis zur letzten Seite!

Prädikat: ***

Sabine Ebert: Die Spur der Hebamme (Knaur)

Die Fortsetzung von "Das Geheimnis der Hebamme" - die Stadtgeschichte Freibergs, aufgeschrieben von einer Journalistin, die in der Bergstadt lebt. Ich habe selten einen so stimmigen, handfesten und realistätsnahen historischen Roman gelesen: Spannend erzählt, clever gebaut, und so gut recherchiert, dass selbst ein Historiker an diesem Buch kaum etwas auszusetzen haben dürfte. Besser lässt sich Landesgeschichte für ein breites Publikum kaum aufbereiten. Es ist zu hoffen, dass dieses Buch auch an den Schulen im Freistaat fleißig gelesen wird. Und wir freuen uns schon auf den nächsten Band.

Prädikat: ****

Sonntag, 10. Februar 2008

Rania Al-Baz: Entstellt (Lübbe)

In ihrer Heimat Saudiarabien war die Moderatorin ein Star. Doch ihr Ehemann war neidisch und eifersüchtig, weil er als Sänger nicht halb soviel Erfolg hatte wie sie. Nach vielerlei Streitereien und etlichen Gewaltausbrüchen rastete er vollkommen aus. Resultat: Ein völlig zerschmetterter Schädel, Al-Baz überlebte nur durch einen glücklichen Zufall. In ihrem Buch erzählt sie von ihrem Leben in der traditionsbewussten arabischen Familie - und darüber, wie sie dazu kam, sich für Frauenrechte einzusetzen. Schockierend sind diese Memoiren einer gerade einmal 29jährigen. Sie vermittelt Innenansichten, die dem "Westler" üblicherweise verwehrt bleiben. Aber gerade solche Bücher helfen dabei, zu verstehen, was in vielen Muslimen vorgeht, wenn sie mit unserer Kultur konfrontiert werden.

Prädikat: ***

Samstag, 9. Februar 2008

Amélie Nothomb: Reality-Show (Diogenes)

Ein TV-Sender sendet live aus dem Konzentrationslager. Die Darsteller werden einfach von der Straße weggefangen. Und das Publikum sucht täglich per Knopfdruck zwei Häftlinge aus, die sterben müssen. Die Presse empört sich, und die Einschaltquoten werden täglich höher. Diese Geschichte ist gruslig, nicht zuletzt weil sie durchaus wahr sein könnte. Und weil sie zeigt, was Menschen zu Tätern macht. Leider ist Nothomb stellenweise zu geschwätzig, und ihr Erzähler zu allwissend. Diese kleinen handwerklichen Schwächen verzeiht man aber gern; und erleichtert atmet der Leser auf, wenn er endlich beim Happy End angekommen ist.

Prädikat: ****

George Orwell: Erledigt in Paris und London (Diogenes)

1933, nach seiner Demission als Polizeioffizier in Burma, landet Orwell in einer anderen Welt: Ganz unten, arbeitslos in Paris, wo er als Küchenhilfe in einem teuren Restaurant schuftet, um nicht zu verhungern, und ohne Geld in London, wo er mit auf Trebe gehen und im Obdachlosenasyl übernachten muss. Bildung kann man nicht essen - und wer einmal in der Gosse sitzt, der kommt dort nur schwer wieder weg. Mit wachem Blick beobachtet der Autor die Menschen, denen er begegnet, und ebenso präzise wie lakonisch beschreibt er seine Erlebnisse. Erschütternde Reportagen über eine Gesellschaft, die selbst aus der Not der Menschen noch ein gutes Geschäft macht.

Prädikat: *****

Michael Connelly: L.A. Crime Report (Heyne)

Eine Gerichtsreporter wird zum Krimi-Autor. Das ist nicht gerade ungewöhnlich. Ungewöhnlich aber ist es, wenn ein Verlag schließlich die besten Reportagen dieses Autors heraussucht und in Buchform veröffentlicht. Manchmal geht so etwas gut; denn es gibt auch in diesem Genre brillante Texte, die Literatur sind, und nicht Einwegware. Für die Berichte von Connelly gilt dies leider nicht. Und mir fällt kein Grund ein, warum man so etwas lesen sollte.

Prädikat: -

Freitag, 8. Februar 2008

Val McDermid: Das Moor des Vergessens (Knaur)

In einem Moor, weit draußen auf dem Lande, wird eine Leiche entdeckt. Schon vermutet nicht nur die Gerichtsmedizinerin, die den Fall bearbeitet, dass der Tote dort seit zweihundert Jahren liegt. Auch die junge Literaturwissenschaftlerin Jane Gresham (!) merkt auf: Könnte es sich um die sterblichen Überreste von Fletcher Christian handeln, der die Meuterei auf der Bounty anführte? Und hat er nach seiner Rückkehr William Wordsworth, einem Jugendfreund, die Geschichte erzählt? Alle Indizien sprechen dafür, dass der Dichter Wordsworth diesen spannenden Stoff zu einem Meisterwerk verarbeitet hat, das aber nie veröffentlicht wurde. Jane begibt sich auf die Suche nach dem Manuskript. Doch andere suchen auch danach - und innerhalb kurzer Zeit kommen all jene, bei denen das Werk verborgen sein könnte, ums Leben. Diese Story könnte gruslig sein. Sie ist es aber nicht, sie ist nicht einmal wirklich spannend. Möglicherweise liegt das daran, dass der Krimi erst beginnt, wenn man zwei Drittel des Buches hinter sich hat. Und schon bald ahnt der Leser auch, wer der Mörder sein muss. Das sorgt nicht unbedingt für Lesevergnügen.

Prädikat: **

Andreas Franz: Unsichtbare Spuren (Knaur)

Ein Serienmörder geht um in Norddeutschland. Und nur durch Zufall fällt das der Polizei überhaupt auf. Die Jagd beginnt, doch auf langen Strecken ist der Mörder den Beamten meilenweit voraus. Dass er sich auch für haushoch überlegen hält, das freilich erweist sich als Fehler. Ein mäßig spannender Krimi, handwerklich alles andere als perfekt gemacht. Muss man nicht lesen.

Prädikat: **

Alfred Komarek: Die Schattenuhr (Diogenes)

Daniel Käfer, ehemals Chefredakteur, derzeit ohne Job, kann sich nicht aufraffen, aus der Sommerfrische zurück nach Wien zu fahren, um sich dort wieder ernsthaft dem Beruf zuzukehren. Er bleibt im Salzkammergut, und lässt sich treiben. Komarek entführt seine Leser in eine Welt aus Salz und Stein, in eine Vergangenheit, die vor allem Elend und Schinderei war, und eine Gegenwart, die hinter der glatten Touristikfassade nicht viel besser ausschaut. Sein Roman lebt von Dialogen, doch er erzählt über Landschaft und Leute vor allem auch zwischen den Zeilen. Das ist große Literatur - erstaunlich, dass es solche Texte heute noch gibt...

Prädikat: *****

Arto Paasilinna: Im Jenseits ist die Hölle los (BLT)

Ein junger und nicht besonders erfolgreicher Journalist kommt buchstäblich unter die Räder. Doch dann stellt er erstaunt fest, dass der Tod nicht das Ende ist. Verstorbene erleben eine ganze Menge, die meisten jedenfalls. Paasilinna begeistert immer wieder mit seinen skurrilen Ideen, die er dann in seinen Romanen mit feiner Ironie und mit aller Konsequenz entwickelt. Seine Bücher machen süchtig. Und wer eines gelesen hat, der will sie alle haben.

Prädikat: *****

Mittwoch, 6. Februar 2008

Martin Suter: Unter Freunden (Diogenes)

"Geschichten aus der Business Class" nennt Suter seine ebenso brillanten wie fiesen Miniaturen. In wenigen Sätzen bringt er den alltäglichen Wahnsinn, der im Management umgeht, auf die böse, aber leider immer wieder treffende Pointe. Der Stoff, aus dem die Alpträume eines jeden Angestellten sind! Und trotzdem muss der Leser letztendlich über Suters Kabinettstückchen schmunzeln.

Prädikat: *****

Dienstag, 5. Februar 2008

Sebastian Fitzek: Das Kind (Droemer)

Was für ein Schocker! Wer Krimis von der knallharten Sorte liebt, und Fitzek noch nicht gelesen hat, der sollte ihn kennenlernen. Diese Story jedenfalls sorgt garantiert für eine schlaflose Nacht: Ein todkrankes Kind, das fest davon überzeugt ist, in einem früheren Leben ein Serienmörder gewesen zu sein. Und ein Anwalt, der das nicht glauben möchte, der sich aber dennoch überreden lässt, den Jungen zu verteidigen - wenn das denn notwendig werden sollte. Lauter schöne Fassaden, hinter denen Übles wartet. 389 Seiten Hochspannung, und zum Schluss kommt ohnehin alles anders, als zuvor vermutet. Fitzek erweist sich einmal mehr als Virtuose des Entsetzens - und wir freuen uns schon sehr auf den nächsten Thriller.

Prädikat: *****