Dienstag, 24. November 2009

Tolstois Flucht und Tod (Diogenes)


Wie kommt es, dass der greise Tolstoi nicht friedlich zu Hause im Bett, sondern auf der Flucht, beim Vorsteher der Bahnstation Astapowo, starb? In diesem Büchlein versucht seine Tochter Alexandra, eine Antwort auf diese Frage zu geben.
Die Vorgeschichte ist dramatisch. Graf Leo Nikolajewitsch Tolstoi war einst ein Gutsherr wie viele im alten Russland. Er heiratete, kümmerte sich um sein Anwesen, empfing Gäste, schrieb Romane und spielte Klavier. Irgendwann aber bemerkte er, in welch unbeschreiblichem Elend viele Menschen in seiner Umgebung lebten. Und er wollte all sein Eigentum diesen Armen geben. Seine Frau freilich, verantwortlich für Wirtschaft und Kinder und daher wohl mit etwas mehr Sinn für Realitäten ausgestattet, zeigte sich entsetzt und mitnichten begeistert von der Aussicht auf Armut, Dreck und Hunger.
So blieb mehr oder weniger alles, wie es war. Doch Tolstoi konnte seinen Ruhm und sein Vermögen nicht mehr genießen; ihn plagte sein Gewissen, und mehrfach versuchte er, seinem vermeintlichen Reichtum, den er als Unrecht empfand, zu entfliehen. So auch am Ende seines Lebens, wo er auf eine letzte Reise ging - in bester mittelalterlicher Tradition, wie die Könige, die sich zum Sterben ins Kloster zurückzogen.
Die Kirche aber wollte mit dem Schriftsteller nichts zu tun haben. Aufgrund seiner Lehren galt er den Orthodoxen als Ketzer. Und die Behörden fürchteten gar, sein Tod könne der öffentlichen Ordnung und Sicherheit gefährlich werden. ---
Die letzten Kapitel der Lebensgeschichte eines Utopisten. Etliche Überlegungen und Auseinandersetzungen, die die Menschen damals in Russland bewegten, sind heute nur noch schwer nachzuvollziehen. Dennoch erleichtert die Beschäftigung mit Tolstois Biographie den Zugang zu seinem Werk. Deshalb sollte man dieses Büchlein gelesen haben.

Prädikat: **

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