Dienstag, 29. Dezember 2009

Halima Bashir / Damien Lewis: Halima (Droemer)


Die Lebensgeschichte einer jungen Frau aus dem Stamm der Zaghawa, der  in der Halbwüste lebt, im Westsudan - in Darfur. Der Vater liebt seine Tochter über alles, und sorgt dafür, dass sie eine erstklassige Ausbildung bekommt. Als erstes Stammesmitglied überhaupt studiert sie an der arabischen Universität von El Obeid Medizin.
Als junge Ärztin wird Halima Bashir Zeugin schlimmer Verbrechen; denn sie versorgt die Opfer von Überfällen arabischer Reitermilizen auf Schwarzafrikaner. Als die Araber über eine ganze Schulklasse achtjähriger Mädchen herfallen und die Kinder vergewaltigen, unterrichtet die Ärztin die UNO und die Medien. Dadurch wird jedoch die Geheimpolizei auf sie aufmerksam - und die Männer zeigen ihr, wer die Macht hat. Als sogar ihr Dorf dem Erdboden gleichgemacht wird, flieht sie nach London. Dort engagiert sie sich, um auf das Leid ihrer Landsleute aufmerksam zu machen.
Leider bedient sie damit auch eine ziemlich enthemmte Medienmaschine. Der Journalist Damien Lewis beispielsweise hat wohl erkannt, dass mit Leidensgeschichten aus Afrika Geld zu verdienen ist - aus seiner Feder stammt bereits ein anderes, sehr ähnliches Buch über "Die Sklavin", eine andere Frau vom schwarzen Kontinent. Empörung und Entrüstung aber können Verständnis, Überblick und Analyse nicht ersetzen. So bleiben alle Figuren merkwürdig schemenhaft, und über den Darfur-Krieg erfährt man eigentlich gar nichts, außer ein paar grausige Details. Diese Ameisen-Perspektive bedient ähnliche Bedürfnisse wie die Zeitung mit den großen Buchstaben. Wer die Weltöffentlichkeit aufrütteln will, um das Morden zu beenden, der wird nicht umhin kommen, auch die Täter zu benennen - und die Hintermänner. Das wäre eigentlich die Aufgabe der westlichen Journalisten.

Prädikat: **

Montag, 28. Dezember 2009

Eva Goris / Claus-Peter Hutter: Warum haben Gänse Füßchen? (Knaur)


In diesem Buch findet sich zum Stichwort "Unter aller Kanone" folgendes: "Der Ausdruck klingt militärisch, hat aber mit dem mächtigen Geschütz, das andere gern auffahren, nichts zu tun. Vielmehr kommt der Begriff aus dem Lateinischen. Dort heißt "sub omni canone" unterhalb jeden Maßstabes und bedeutet also richtig schlecht! Doch da im Mittelalter mehr Menschen Kanonen kannten als Latein sprachen, hat sich die Verballhornung der Redensart bis in das 21. Jahrhundert in dieser Weise durchgesetzt."
Man kann sich ja streiten, ob das 15. Jahrhundert, als in Europa Kanonen erstmals in größeren Mengen gesichtet wurden, noch zum Mittelalter gehört - der Mehrheit der Dorfbewohner dürften sie ohnehin ebenso sagenhaft geblieben sein wie das miserable Latein jener Zeit.
Vor diesem Büchlein aber sei heftigst gewarnt - Trivialetymologie fürs dusslige Volk, zu Papier gebracht in bemüht locker-flockigem Stil, siehe Leseprobe. Das kommt davon, wenn der Verlag  Spezialisten aus dem Umwelt- und Naturschutz - Diplom-Verwaltungswirt Hutter hat auch ein "Telekomhasserbuch" mitverfasst - mit einem Sachbuch zum Thema Sprachwissenschaft beauftragt. Gruslig!

Prädikat: -

Sonntag, 27. Dezember 2009

Sigi Kube: Der Wolf im Schafspelz tappt im Dunkeln (Knaur)


Früher, als die Menschen noch bibelfest waren, musste keiner rätseln, was eine Hiobsbotschaft ist, ein Menetekel oder ein Unschuldslamm. Die Historikerin Sigi Kube erläutert in diesem Buch die Herkunft vieler alltäglicher Redewendungen - und weckt damit vielleicht sogar bei dem einen oder anderen Leser Interesse für die Texte der Bibel. Es geht ja immerhin um nichts geringeres als um die Wurzeln unserer Kultur. Und darüber sollte man schon etwas wissen.

Prädikat: ****

Sabine Ebert: Blut und Silber (Knaur)


Dieser historische Roman führt seine Leser ins 13. Jahrhundert: Adolf von Nassau, deutscher König, setzt eine gewaltige Streitmacht in Bewegung, um die Wettiner zu vertreiben - und an das Silber zu gelangen, das er dringend benötigt, um seine Macht zu sichern. Das belagerte Freiberg fällt durch Verrat; Adolfs Truppen rächen sich wenig ritterlich an der Bevölkerung, die es gewagt hat, den Söldnern des Königs Widerstand zu leisten. Markgraf Friedrich muss nach Thüringen flüchten.
Sabine Ebert hat bereits drei dicke Bücher über die Geschichte ihrer Wahlheimat geschrieben, die alle zu Bestsellern wurden. Das hat seinen Grund: Ebert verknüpft penibel recherchierte historische Fakten mit fiktiven Figuren - und schafft so leserfreundliche, detailreiche und spannende Geschichten, die Heimatgeschichte lebendig und nachvollziehbar werden lassen. Für ihren vierten Band hat der Verlag nun endlich eine schmucke Hardcoverausstattung spendiert. Glückwunsch!

Prädikat: ****

Ulrike Bornschein: Bei Anruf nackt (Heyne)


Ulrike Bornschein, über vierzig, studiert und lebenserfahren, und damit auf dem Heiratsmarkt ganz sicher nur noch schwer zu vermitteln, hat in zwei Internet-Partnerbörsen nach dem Mann fürs Leben gesucht. Innerhalb von zwölf Monaten hat sie sich in vierzehn Blind Dates gewagt. Eine Partnerschaft ist daraus nicht geworden, dafür aber ein urkomisches Buch, in dem sie knochentrocken ihre Erfahrungen im Paarungsdschungel schildert.

Prädikat: ***

Samstag, 26. Dezember 2009

Honoré de Balzac: Das unbekannte Meisterwerk (Diogenes)


Man sollte öfter Klassiker lesen - Balzac beispielsweise. Denn man kann sich an seinem exzellenten Stil ebenso erfreuen wie an seinem sicheren Blick für die Schwächen seiner Mitmenschen. Das Stöbern in der Vergangenheit schärft zudem den Blick für die Gegenwart. Und es setzt all die "modernen" Textchen wieder auf den angemessenen Platz. Die meisten davon werden vermutlich innerhalb weniger Jahre vergessen sein, ebenso wie die Namen ihrer Autoren. Balzac aber, an den Schreibtisch getrieben von seinen Gläubigern, hat ein unglaubliches Werk hinterlassen. Sein Schriftsteller-Kollege Charles Baudelaire brachte den Grund dafür auf den Punkt: "Bei Balzac hat, kurz gesagt, jeder Mensch Genie, sogar die Concierge."

Prädikat: *****

Maria Angels Anglada: Die Violine von Auschwitz (Luchterhand)


Kann eine katalanische Autorin vom Holocaust schreiben? Anglada kann. Sie führt ihre Leser nach Krakau. Dort lernt ein Pariser Musiker eine polnische Kollegin kennen, die ihn sowohl mit ihrem virtuosen Spiel als auch mit dem herrlichen Klang ihres Instrument tief beeindruckt.
Schockiert ist er allerdings, als er die Geschichte dieser Geige erfährt. Denn sie ist in einem Nebenlager des KZ Auschwitz entstanden. Dort erhielt der jüdische Geigenbauer Daniel vom Kommandanten den Auftrag, ein Instrument in der Tradition Stradivaris zu bauen - gelingt ihm das, erhält der SS-Mann vom Lagerarzt eine Kiste Rotwein. Schafft der Häftling es nicht, bekommt ihn der Mediziner für seine perfiden Menschenversuche.
Anglada gelingt ein beeindruckendes, brillantes Buch - der Verlag nennt es "Roman"; eigentlich ist es eine klassische Novelle um eine wirklich unerhörte Begebenheit.

Prädikat: ****

Peggy Poles / Ursula Boencke: "All unsere Lieben sind verloren"


Am 30. Januar 1945 versank vor der polnischen Ostseeküste binnen einer Stunde die "Wilhelm Gustloff", getroffen von russischen Torpedos. Das Schiff war überfüllt mit mehr als 10.000 Flüchtlingen und Verwundeten. Ursula Boencke und Peggy Poles, Tante und Nichte, haben diese Katastrophe überlebt. Alle anderen Mitglieder ihrer Familie kamen in den eisigen Fluten ums Leben.
In diesem Buch, das im wesentlichen auf den Tagebuchnotizen Boenckes beruht, erzählen die beiden Frauen vom Leben in Petersburg und in Riga - von einem Baltikum, das in den Wirren der Revolutionszeit und der beiden Kriege versunken ist, wie die sagenhafte Stadt Vineta.
Sie berichten von den Schrecken des Krieges und der Flucht. Und von der Ankunft in einem zerstörten Land, das mit den "Ausländern" eigentlich auch nichts anfangen wollte. Tapfer haben sich die beiden Frauen durchgebissen - ein ergreifendes Buch, das zur Lektüre empfohlen wird.

Prädikat: ****

Charlie Huston: Das Clean Team (Heyne)


Webster Fillmore Goodhue, genannt Web, hat all seine Freunde vergrault. Bis auf einen jedenfalls, seinen Kindergartenkumpel Chev. Doch selbst dessen Geduld hat Grenzen. Und so heuert Web, der seit über einem Jahr keinen Job mehr hatte, eines Morgens bei einer makabren Putzkolonne an: Das Clean Team wird gerufen, wenn es gilt, Hirn von den Wänden zu schaben, Blutflecken zu bereinigen - oder andere unschöne Spuren, die Morde und Selbstmorde halt so hinterlassen.
Diese Tätigkeit bringt Web wieder zu sich selbst. Und der Leser erfährt allmählich, wieso der einstmals beliebte Lehrer nie wieder Kinder unterrichten und auf gar keinen Fall Bus fahren will. Ein fulminanter Roman, dessen fiese Helden man zu guter Letzt sogar sympathisch finden wird.

Prädikat: ***

Freitag, 25. Dezember 2009

Val McDermid: Luftgärten (Knaur)


In Manchester geschehen wundersame Dinge: Der Handwerker Ted Barlow baut mit seiner Mannschaft Wintergärten an Einfamilienhäuser an. Doch über Nacht verschwinden einige davon, als hätten sie sich in Luft aufgelöst.
Ein Fall für Privatdetektivin Kate Brannigan, die sehr bald erstaunt feststellt, dass auch die Hausbewohner seltsamerweise gleich mit verschwinden. Ganz nebenbei muss sie zudem das Geld ihrer besten Freundin zurückholen, die beim Erwerb ihrer Traum-Baustelle einem Betrug aufgesessen ist, und einen Diebstahl in einer Pharma-Firma aufklären. Und während sie langsam begreift, wie die kriminellen Geschäfte funktionieren, gerät sie gleich mehrfach in Lebensgefahr. Ein spannender, gut geschriebener Krimi in bester britischer Tradition.

Prädikat: ***

Natalie McLennan: Natalia (Heyne)


Sie war das teuerste Escortgirl von New York. Sie wurde von Rockstars, Industriellen und Politikern gebucht - zum Stundensatz von 2000 (zweitausend) Dollar. Und ihr Lebensgefährte Jason Itzler sorgte dafür, dass sie reichlich zu tun hatte. Doch mit dem Geld, das sie verdiente, konnte "Natalia" nichts anfangen. Denn ihr Horizont reichte gerade von Sex und Party bis zu teuren Klamotten und Drogen.
Ihre Memoiren lesen sich daher ein bisschen wie ein Erbauungs-traktat, zur Warnung vor einem solchen Lebenwandel - und zugleich hat der Verlag natürlich darauf geachtet, dass die Anekdoten aus dem Milieu positiv genug sind, Leser zu unterhalten und zu amüsieren. So erahnt man hinter viel Glamour und Talmi zwar großes Elend, aber in einer sehr luxuriösen Variante. 

Prädikat: **

Donnerstag, 3. Dezember 2009

Niels Brunse: Die erstaunlichen Gerätschaften des Herrn Orffyreus (Luchterhand)


Robert Zahme, ehemals Professor der Germanistik, lebt allein in Kopenhagen in einem Reihenhaus, das er nicht verlassen kann. Denn sobald er vor die Türe geht, erleidet er fürchterliche Panikattacken. Und so setzt er sich daran, ein angeblich uraltes Manuskript, das ihm seine Lieblingsstudentin Ulla kurz vor ihrem Unfalltod überlassen hat, ins Reine zu schreiben.
Der Text erscheint spannend. Denn der Autor, ein Freiherr von Erlenberg, berichtet darin, wie er Kunde erhielt von einer rätselhaften Stadt in Mecklenburg-Strelitz, in die sich Menschen zum Sterben begeben - und aus der noch nie jemand zurückgekehrt sei. Von Erlenberg sucht nach dieser Stadt, findet sie, und wird eingelassen.
Wer allerdings einmal den hohen Palisadenzaun durchschritten hat, der die Stadt abschirmt, der darf nie wieder hinaus. Ramoth-Bezer, so der Name des Ortes, wird von einem Rat geleitet. Die Menschen leben dort vollkommen gleichberechtigt, und niemand leidet Not. Dafür sorgen die Maschinen des sagenhaftes Baumeisters Orffyreus, der große Räder konstruiert hat, die offenbar ganz von allein laufen.
Auch Zahme ist fasziniert von dem Rätsel um die geheimnisvolle Kraft, und er gibt sich viel Mühe, seine Lösung zu finden. Letzten Endes aber muss er erkennen, dass er in die Irre geführt worden ist. Ein grandioser Roman, mit einem verblüffenden Ende. 

Prädikat: *****