Sonntag, 24. Oktober 2010

Anita Loos: Gentlemen bevorzugen Blondinen ... aber Gentlemen heiraten Brünette (Diogenes)

Anita Loos war die erste bedeutende Drehbuchautorin in Hollywood. Wüsste man das nicht, dann wäre man versucht, über diese beiden Romane ein ziemlich drastisches Urteil zu fällen. Denn sie zeigen ziemlich deutlich, dass man auch mit Nichtigkeiten und Plapperei prima sein Geld verdienen kann.
Das gilt zum einen für die beiden Damen, die hier erzählen, wie sie aus einfachsten Verhältnissen aufsteigen zum It-Girl - und sich eine der begehrten guten Partien sichern. Das gilt aber auch für den Stil dieser beiden Romane, die zu lesen daher nicht besonders vergnüglich war. Da ist die berühmte Verfilmung mit Marilyn Monroe und Jane Russell als Showgirls Lorelei Lee und Dorothy doch deutlich kurzweiliger.

Prädikat: ***

Hans Sahl: Die Wenigen und die Vielen (Luchterhand)

Auch dieses Buch, der einzige Roman von Hans Sahl, berichtet vom Erlebnis Exil: Als die Nazis an die Macht kommen, muss Georg Kobbe um sein Leben fürchten - ein Berliner Dichter, der die falschen Freunde hat, die falschen Bücher gelesen und geschrieben hat, und obendrein Jude ist.
Durch halb Europa gehetzt und gejagt, kann er schließlich in die USA entkommen. Doch dort stellt er fest, dass dieses Asyl ihm nicht zur zweiten Heimat werden wird. Das liegt zum einen daran, dass es unendlich schwierig für den Schriftsteller ist, in dieser fremden Welt zu überleben. Zum anderen liegt es daran, dass Kobbe sich in erster Linie im Kreise seiner Landsleute bewegt - und diese setzen, so zeigt sich, die alten Debatten in der Neuen Welt fort. Da streiten sich Anarchisten, Kommunisten, Stalinisten und auch Sozialdemokraten fröhlich weiter, als fiele nicht soeben Europa in Trümmer. 
Es ist ein Reigen unseliger Geister, der da durch New Yorker Hinterzimmer spukt - und der Leser, der sich beim Treffen mit diesen Gespenstern kräftig gruselt, sieht urplötzlich die deutsche Nachkriegsgeschichte mit ganz anderen Augen. Denn die Perspektive dieses Georg Kobbe hilft dem Nachgeborenen, so manches zu verstehen, was man bisher eher kopfschüttelnd  im Geschichtsbuch zur Kenntnis genommen hat. 
Ein grandioses Buch, das auch stilistisch so manche Überraschung bietet. 

Prädikat: *****

Hans Sahl: Memoiren eines Moralisten / Das Exil im Exil (Luchterhand)

Hans Sahl, geboren 1902 als Sohn eines jüdischen Industriellen in Dresden, wirkte im Berlin der 20er Jahre als Kritiker und Kulturjournalist, und schrieb Gedichte, Erzählungen und Theaterstücke. 1933 rettete er sich durch die Flucht - zunächst nach Prag, und dann über Zürich, Paris und Marseille nach New York. In den beiden autobiographischen Werken, die in diesem Buch zusammengefasst sind, berichtet er von seiner Kindheit in der sächsischen Landeshauptstadt, von seinen Jugendjahren, und von seinem Leben in Berlin. 
Er erinnert an das faszinierende kulturelle Leben jener Zeit, er erzählt von der Flucht, vom Schicksal der Vertriebenen und der Gebliebenen, und vom Erlöschen der deutschen Kultur, zerrieben zwischen Terror und Exil - erschossen, zerbombt, vertrieben, vergast, verhungert, verstummt. Erstaunt lernt man einen ebenso wortgewaltigen wie unbestechlichen Chronisten kennen - was für ein Werk, und was für eine sprachliche Präzision! 

Prädikat: *****

Samstag, 23. Oktober 2010

Sabine Ebert: Der Fluch der Hebamme (Knaur)

Dietrich, eigentlich vorgesehen als Nachfolger von Markgraf Otto, zieht mit Kaiser Friedrich von Staufen, genannt Barbarossa, ins Heilige Land. Sein Bruder Albrecht sieht dies als Chance, sein Erstgeburtsrecht durchzusetzen. Er setzt den Vater gefangen, und versucht, ihn zur Abdankung zu zwingen. 
Diese Intrige scheitert - doch kurz darauf trifft den alten Markgrafen der Schlag, und Albrecht tritt endgültig an seine Stelle. Der Erbe ist dumm, unbeherrscht und grausam. Für Freiberg und die Freiberger, vor allem aber für die Hebamme Marthe und ihre Familie, brechen harte Zeiten an.
Sabine Ebert berichtet im vierten Band ihrer Romanserie um Ritter Christian, den Begründer von Christiansdorf, das später zu Freiberg wurde, und seine Frau Marthe von den Ereignissen zur Zeit des Dritten Kreuzzuges - kenntnisreich und detailliert, aber zugleich spannend, lebendig und sehr solide erzählt. Wer sich für sächsische Heimatgeschichte interessiert, der wird beim Lesen so manches erfahren und lernen. 
Mit dem fünften Band, so hat die Autorin bereits angekündigt, wird dieser Roman enden. Wir dürfen freilich schon neugierig sein auf ihr nächstes Projekt; es soll sich mit der Völkerschlacht bei Leipzig befassen.

Prädikat: ****

Sonntag, 17. Oktober 2010

Amy Appleton: Die Brautjägerin (Diana)

Rebecca Orchard hat aus ihrer langjährigen Erfahrung als Headhunterin eine sehr interessante Geschäftsidee entwickelt: Sie sucht für gestresste Manager die Traum- frau, die perfekt in das gestylte Penthouse, die Luxuslimousine und das Privatflugzeug passt, die der Mann von Welt aber selbst nicht findet, weil sein Terminkalender ihm keine Chance lässt.
Soeben hat sie für einen steinreichen Amerikaner die Schottin gefunden, die dieser schon immer an seiner Seite wissen wollte. Da stellt sie fest, dass zwei weitere Mandate ihr wohl Probleme bereiten werden. Da ist zum einen "Ed, das Brett", der eigentlich gar keine Probleme mit Frauen hat - weil er auf sie keinen Gedanken verschwendet. Doch sein Chef engagiert Rebecca, weil er findet, dass ein Manager, der Karriere machen will, verheiratet sein sollte. Schwierig genug. Doch nicht so problematisch wie der Fall Sam. Denn Sam ist mitnichten ein Mann, sondern eine ebenso erfolgreiche wie mannstolle Anwältin, die droht, Rebecca zu ruinieren, wenn es ihr nicht gelingt, sie unter die Haube zu bringen.
Eine komische Geschichte aus dem Märchenland der Superreichen, die es gewohnt sind, für jeden Handgriff entsprechende Dienstleister zu beauftragen. Und natürlich gibt es für alle ein Happy-End. 

Prädikat: **

Waltraut Lewin: Die Jüdin von Konstantinopel (Knaur)

Das Leben der Dona Gracia Nasi, alias Beatrice de Luna y Mendes, ist für eine Frau ihrer Zeit alles andere als typisch: Die Jüdin führt ein Bank- und Handelshaus von euro- päischer Bedeutung. Sie lebt in Konstan- tinopel, und die Geschäfte laufen gut. Trotzdem ist sie mit ihrem Leben so unzu- frieden, dass sie es beenden will. Denn ihr Reichtum hatte stets ein Ziel: Ihren ver- folgten jüdischen Mitmenschen beizu- stehen, Leben zu retten, wo immer das notwendig wurde. Auf ihrem Weg von Lissabon über Antwerpen, Venedig und Ferrara in das Osmanische Reich hatte sie dazu nur zu oft Gelegenheit.
Nun jagt die Inquisition die Conversos von Ancona, und Gracia hatte versucht, sie mit einem Handelsboykott davon abzubringen. Damit war sie zunächst ziemlich erfolgreich - bis ihre eigenen Glaubens- genossen ihr in den Rücken gefallen sind. Diese Niederlage vergällt ihr das Leben - und ihr Liebhaber Joseph, den sie mit ihrer Tochter verheiratet hat, kann ihr zunächst nur eine Wochenfrist Aufschub bis zu ihrem Freitod abhandeln. Doch dann ernennt der Sultan Gracia zur Steuerpächterin der türkischen Provinz Galiläa. Und plötzlich sieht sie eine Chance, die in ganz Europa verstreuten Juden zurück in nach Israel zu führen. 
Dass dieses Unterfangen scheitern wird, weiß der historisch interessierte Leser - doch die Vorgeschichte erzählt Waltraut Lewin außerordentlich spannend und kenntnisreich.

Prädikat: ***

Ingrid Noll: Ehrenwort (Diogenes)

Als der hochbetagte Willy Knobel unglücklich stürzt, setzt sich Sohn Harald durch: Sein Vater wird zu Hause gepflegt, Punkt. Doch damit ist nicht das Haus des Seniors gemeint, sondern das Gästezimmer der eigenen Wohnung, was Ehefrau Petra nicht sonderlich begeistert. 
Das Zusammenleben dreier Generationen unter einem Dach bringt dann auch prompt einigen Trubel mit sich. Denn jeder Hausbewohner hat so seine Geheimnisse. Einige davon erledigt Autorin Ingrid Noll in bewährt rabenschwarzer Weise - durch Altenpflegerin Jenny beispielsweise, die mit den Kriminellen, die Sohn Max erpressen, noch eine alte Rechnung offen hat.
Mit viel Humor erzählt, locker gestrickt - nun ja, nicht jede Wendung und nicht jedes Detail überzeugt. Aber der Leser amüsiert sich wie Bolle, und das ist doch auch nicht zu verachten. 

Prädikat: ***

Susanne Schädlich: Immer wieder Dezember (Knaur)

1977 reist die Familie Schädlich aus. Vater Joachim, der Schriftsteller, der in der DDR keine Zukunft mehr sah, seine Frau und seine zwei Töchter. Susanne Schädlich, damals zwölf Jahre alt, verliert ihren Bruder - Jan, bereits 17 Jahre alt, will lieber dort bleiben, wo er aufgewachsen ist - und wird herausgerissen aus ihrer glücklichen Kindheit im Märchenviertel von Berlin-Köpenick. Denn der Westen ist fremd; dort sind sie Fremde, deren Geschichte und deren Erfahrungen nicht interessieren. 
Und zugleich werden sie die DDR nicht los. Denn die Stasi klettet sich an die Schädlichs. Selbst nach dem Untergang des "Arbeiter- und Bauernstaates" werden sie die Spitzel und die Intriganten nicht los. In einer beeindruckenden Erzählung berichtet Susanne Schädlich, wie ihr Onkel Karl-Heinz alles daran setzte, die Familie seines Bruders zu zerstören und seinen Schriftstellerkollegen zu schaden - aus Geltungsdrang, und um ein paar schäbiger persönlicher Vorteile willen. Eine deutsch-deutsche Geschichte, die über eine reine Autobiographie weit hinausreicht. Das liegt zum einen daran, dass hier das Ausmaß der Niedertracht und Skrupellosigkeit, mit der das DDR-Regime gegen Kritiker vorging, sichtbar wird wie selten zuvor. Das beruht aber auch auf der Wucht, mit der die Autorin die Auswirkungen dieser Handlungen auf ihre Familie deutlich macht - eine bitterböse Chronik, denn ohne die Unterstützung, die die Betroffenen aus dem Freundeskreis erfahren haben, hätte sich wohl die Stasi durchgesetzt.

Prädikat: ****