Sonntag, 17. Juli 2011

Georges Simenon: Wellenschlag (Diogenes)

Im Rhythmus von Ebbe und Flut, behütet von zwei Tanten, lebt der Muschelzüchter Jean. In seiner Nachbarschaft wohnt Marthe. Und Marthe ist schwanger von Jean. Die Tanten regeln auch das - mit Schweigegeld, und mit einer Engelmacherin. Als das schiefgeht, arrangieren sie die Heirat und pflegen die Kranke, bis sie schließlich stirbt. Selbst bei der Beisetzung Marthes spielt Jean keine Rolle - die Tanten haben ihn zu einem Kunden geschickt. Dieses Leben, das eher dem Werden und Vergehen einer Pflanze gleicht, beschreibt Simenon in seiner unnachahmlich dezenten Art - mit wenigen Sätzen, eher andeutend und skizzierend als schildernd. In diesem Buch steht nicht ein Komma zuviel, und das Schweigen, das Simenon dort ausbreitet, wo andere wortreich erzählen würden, macht die Lektüre unglaublich angenehm. Genial! 

Ariana Franklin: Der König und die Totenleserin (Droemer)

England, zur Zeit Heinrichs II.. Ein Krieg - gegen die Waliser, die nicht aufgeben wollen. Eine abgebrannte Abtei nebst einer sehr mysteriösen Schankwirtschaft. Zwei furchtbar zugerichtete Skelette. Und eine Räuberbande. Das ist das Inventar dieses Krimis, in dessen Mittelpunkt erneut die Totenleserin Adelia steht. 
Und wie üblich, wird es auch diesmal sehr gefährlich. Denn der Fall, den sie lösen soll, ist hochpolitisch. Henry Plantagenet hat Adelia damit beauftragt, herauszufinden, ob die beiden Skelette wirklich die des sagenumwobenen Königs Arthur und seiner Gemahlin Guinevere sind. Damit könnte der König sowohl die aufsässigen Waliser an sich binden, als auch den Wieder- aufbau des Klosters finanzieren. Denn in diesem Falle befände es sich gleich an doppelt heiliger Stätte - was ohne Zweifel die Spenden fließen lassen würde. 
Ariana Franklin gelingt ein 1A Krimi - spannend, ein bisschen gruslig, und voll unerwarteter Wendungen. Wie Adelia eine Lösung findet, die nahezu allen Beteiligten hilft? Dieses Buch muss man gelesen haben - und es fällt schwer, es aus der Hand zu legen, so gut ist es geschrieben. 

Samstag, 16. Juli 2011

Heidi Rehn: Hexengold (Knaur)

Auch in Frankfurt kommt die ehemalige Wundärztin Magdalena nicht zur Ruhe. Ihr geliebter Eric hat mehr als ein Geheimnis; und als ihre seltsame Base Adelaide nebst Sohn aus ihrem Anwesen vertrieben wird und bei ihr einzieht, wird das Leben in der Handelsstadt noch komplizierter. Dann geht Eric auf Handelsreise. Es dauert nicht lange, und Magdalena hat herausgefunden, dass er diesmal nicht nach Italien aufge- brochen ist, sondern nach Königsberg - dorthin, wo sowohl seine als auch ihre Eltern einst gelebt haben. 
Dann erscheinen die Gläubiger auch bei Magdalena, und nehmen das Anwesen ihrer Familie in Beschlag. Da beschließt sie, Eric nachzu- reisen, der ihr offenbar auch Nachrichten über ihre verschollene Familie verheimlicht hat. Denn in Königsberg wartet das Erbe einer erfolgreichen Bernsteinhändlerdynastie - doch der Weg dahin führt durch gefährliche Gegenden. Der Dreißigjährige Krieg ist noch nicht lange vorbei. Und in Ostpreußen stehen nach wie vor die Truppen. Ein spannender Historienroman, gut geschrieben und in vielen Details überzeugend. 

Christian Schünemann: Daily Soap (Diogenes)

Starfriseur Tomas Prinz stylt Producerin Tina Schmale neu, die vor kurzem die TV-Serie "So ist das Leben" übernommen hat. Ihre Aufgabe: Die Quote deutlich verbessern - und zwar schnell. So wird eine neue Hauptrolle kreiiert, und ein Star gesucht, der sie übernimmt. Doch wer will schon in einer Daily Soap mitspielen? 
Da hat der Friseur einen Tip: Charlotte Auerbach, in den 70ern eine Berühmtheit, ist aus Kalifornien zurück. Sie ist auch bereit, in "So ist das Leben" einzusteigen - aber nur, wenn Prinz ihr als persönlicher Stylist zur Verfügung steht. So begibt sich der Friseur  ins Film-Business. Und das ist gar nicht glamourös. Unter hohem Druck produziert das Filmteam täglich 25 Minuten Vorabend-Unterhaltung, plus eine Menge Intrigen. Schon bald findet sich auch eine Leiche - ein Fall für den Friseur, spannend, überraschend und außerdem sehr unterhaltsam. Wer beim Lesen nicht zumindest schmunzeln muss, dem ist nicht zu helfen. 

Donnerstag, 14. Juli 2011

Lena Johannson: Die Braut des Pelzhändlers (Knaur)

Lübeck, 1430: Kaufmann Heimo von Ranteln schickt seine Tochter Bilke mit einem Handelsschiff nach Riga, wo sie den Pelz- händler Hartwych van Broke heiraten soll. Doch schon bald wird das Schiff von Piraten gekapert. Bilke stellt entsetzt fest, dass längst nicht alle Menschen, die sie für gut und ehrbar hält, das auch sind. Denn ihr eigener Vater hat den Überfall inszeniert - um einen Krieg anzuzetteln.
Sein Vorhaben misslingt. Und Lena Johannson beschert ihren Leserinnen am Ende dieses Buches das gattungstypische Happy End: Bilke kriegt Hartwych, ein Messer setzt den Intrigen des Kaufmanns den Schlussstrich, und ein Pirat bleibt ein Pirat. Das ist nicht besonders spannend. 

Martin Walker: Schwarze Diamanten (Diogenes)

Darf ein Schotte einen Krimi schreiben, der in Frankreich spielt? Wer die Bruno-Romane von Martin Walker gelesen hat, wird sich diese Frage nicht mehr stellen. Denn Walker ist im Périgord mittlerweile zu Hause; er hat dort eine Heimat gefunden, wie seine Krimis beweisen. So liebevoll, wie er über Land und Leute schreibt, folgt man ihm gern auch durch den dritten Fall von Bruno Courrèges, Chef de police in dem kleinen Städtchen Saint-Denis. 
Und der ist ganz schön knifflig. Was haben die protestierenden Ökos vor dem Sägewerk von Boniface Pons, der offenkundige Betrug beim Versand von schwarzen Trüffeln und der Mord an Brunos Jagdfreund Hercule miteinander zu tun? Wieso bekriegen sich in der ländlichen Idylle auf einmal Asiaten erbittert? 
Die Antwort auf diese Fragen ist ähnlich schwer zu finden wie das verschollene Tagebuch, in dem der legendäre Trüffelexperte Hercule seine Funde auflistete - doch letzten Endes hat auch dieser Fall eine ebenso verblüffende wie elegante Lösung. Das Finale ist so typisch französisch, wie man das sonst nur von Simenon kennt. 

Judith Kern: Der Tanz der Kraniche (Knaur)

Ida Grotjahn, Tochter eines Fabrikanten aus Stralsund, soll das Führen eines Haushaltes erlernen, und dann schnellstens heiraten. So wollen es ihre Eltern. Doch das junge Mädchen hat ganz andere Pläne. Ida will Künstlerin werden. Frauen aber sind im Kunstbetrieb um die Jahrhundertwende nicht willkommen, und Damen aus besserem Hause arbeiten ohnehin nicht, jedenfalls nicht sichtbar. Kein Wunder, dass ihre Familie Ida auf diesem Wege nicht unterstützt. 
Die junge Frau reist zunächst nach Hiddensee, und dann zum Studium nach Berlin. Doch weit mehr als das Leben in der Großstadt fasziniert Ida die karge Landschaft auf Hiddensee - und der berühmte Maler Klausen. Endlich mit ihm verheiratet, merkt Ida, dass das Leben im Schatten eines Genies nicht ganz einfach ist - und dass sie weiter um Autonomie ringen muss, wenn sie glücklich werden will.
Die Geschichte des Künstlerpaares hat Autorin Judith Kern mit der Entstehung der Künstlerkolonie auf Hiddensee liebevoll verwoben. Leichte, stimmungsvolle Sommerlektüre - passt perfekt zum Ost- seeurlaub! 

Dienstag, 29. März 2011

Friedrich Ani: Süden (Droemer)

Ein Münchner Wirt verschwindet. Tabor Süden, vormals bei der Polizei zuständig für die Suche nach Vermissten, nun bei einer Detektei, beginnt mit Nachfor- schungen. Doch wie soll man einen Menschen finden, der immer mehr Fragen aufwirft, je mehr Antworten man herausbekommt? Schon bald ist sich Süden ganz sicher, dass keiner diesen Raimund Zacherl wirklich kannte - seine Frau nicht, seine Geschäftspartner nicht, und auch die Serviermaiden nicht, selbst wenn die eine oder andere näher mit ihm zu tun bekam. Die Geschichte, die wie ein Krimi begann, endet als Parabel. Großartig. 

Hartmut Lange: Im Museum (Diogenes)

"Unheimliche Begebenheiten", nennt Hartmut Lange diese Sammlung von phantastischen Geschichten. Sie spielen sämtlich im Deutschen Historischen Museum zu Berlin - und irritieren. Da verschwindet eine Museumsangestellte spurlos. Auch ein Besucher findet den Ausgang nicht mehr. Adolf Hitler geistert durch die Räume. Eine Mutter will ihrem Kind den Himmel zeigen - und kann ihn nicht finden. Sieben Kapitel, sieben Rätsel, die Lange nur andeutet, aber niemals auflöst. Der Leser grübelt, und wundert sich über das Eigenleben, das dieses Gebäude entwickelt, das mit Geschichte vollgestopft ist - aber keine Geschichten erzählt. Das übernimmt statt dessen der Autor, und bringt den Leser damit ganz schön ins Grübeln. 

Tatjana Kruse: Nadel, Faden, Hackebeil (Knaur)

Zwei Morde sorgen für Gerüchte in Schwäbisch Hall. Auf der Herrentoilette eines Parkhauses wird die Leiche des Landtagsabgeordneten Lambert von Bellingen gefunden. Und Siegfried Seifferheld, der stickende ehemalige Kriminalkomissar, findet die Überreste der Inhaberin des ortsansässigen Souvenir- ladens - mit völlig zertrümmertem Gesicht. Unterstützt durch seinen Hund Onis, seine Freundin, die als Lokalredakteurin arbeitet, und durch die Männer seines Kochkurses geht Seifferheld auf die Suche nach dem Mörder. 
Tatjana Kruse hat erneut den mit Abstand witzigsten Krimi des Jahres geschrieben. Und während man noch grübelt, ob das noch Parodie ist oder schon Comedy, ist der Täter bereits gefunden. Köstlich! 

Lucy Hepburn: Kein Anschluss unter dieser Nummer (Heyne)

Christy Davies verliert ihr iPhone. Was für jeden von uns ein Ärgernis wäre, das ist für sie eine Katastrophe. Denn sie verdient ihr Geld, indem sie anderen Leuten lästige Wege abnimmt. Blumen kaufen für die Gattin, Juwelen vom Fototermin und einen wertvollen Teppich aus der Reinigung abholen, den Pudel zum Friseur schaffen, Flugtickets bringen - Christy alias doorman-dot-com erledigt alles zuverlässig, pünktlich und persönlich. 
Doch jetzt hat sie ein Problem. Denn ihr fehlt nicht nur ihr Telefon, sie vermisst viel mehr - Navi, Lexikon, Kalender, Adressbuch, all das ist das iPhone für sie. Und so kommt ihr Tag zunehmend in Unordnung. Lucy Hepburn platziert in diesem Chaos zusätzlich zwei charmante und attraktive Männer, eine Schwester, die Hochzeit feiert, und diverse Eltern nebst diversen Missverständnissen. Eine turbulente Geschichte, die so wohl nur in New York spielen kann. 

Xinran: Die namenlosen Töchter (Knaur)

Seit Jahren schreibt die Journalistin Xinran über die Schicksale chinesischer Frauen - und in diesem Roman erzählt sie von einer Familie, die nur Töchter hat, aber keinen Sohn: "Eßstäbchen" statt "Dachbalken". Da in China traditionell die Töchter den Haushalt ihrer Eltern verlassen, wenn sie heiraten, wird es gerade in ländlichen Gegenden offenbar doppelt wichtig, einen Sohn zu haben. Denn er ist nicht nur der "Stammhalter", sondern auch die Renten- versicherung der Eltern, die er versorgen muss, wenn sie alt werden.
Die sechs Töchter, von denen dieser Roman berichtet, haben nicht einmal Namen; ihr enttäuschter Vater hat sie statt dessen einfach durchnummeriert. Doch die Mädchen finden sich nicht damit ab, auf dem Lande nichts zu sein. Als erste entkommt Drei; sie geht in die Stadt und sucht sich dort eine Arbeit. Fünf und Sechs folgen ihr bald nach. Xinran macht deutlich, wie groß der Schritt für die Mädchen ist. Denn sie sind Analphabeten, sie haben keinen Beruf gelernt, und sie kennen in der Stadt zunächst niemanden. 

Iny Lorentz: Die Rose von Asturien (Knaur)

Weil er sich über die fortwährenden Viehdiebereien an seiner Grenze geärgert hat, lockt Graf Roderich seinen Nachbarn in eine Falle, und bringt ihn um. Das ihm bei dieser Gelegenheit auch noch das einzige Kind des Rivalen in die Hände fällt, freut ihn ganz besonders. Die achtjährige Maite soll seiner Tochter als Zofe dienen. 
Gleich am ersten Tag nach ihrer Ankunft auf der Burg wird sie halbtot geschlagen, und in einen Stall gesperrt, weil sie sich ihrer fünfjährigen "Herrin" widersetzt hat. Maite gelingt die Flucht, und ihr Hass hält sie am Leben. Jahre später kommt die Gelegen- heit zur Rache - doch bald muss Maite erkennen, dass auch sie nur eine Schachfigur in einem Spiel ist, das auf einer ganz anderen Ebene gespielt wird. 
Dem Münchner Autorenpaar Iny Lorentz gelingt es mit diesem Roman erneut, europäische Geschichte - in diesem Falle geht es um den Kriegszug Karls des Großen gegen die Mauren 778 und die einzige Niederlage, die er jemals hinnehmen musste - spannend anhand konkreter Schicksale zu erzählen. 

Jack London: Meistererzählungen (Diogenes)

Dieses Buch berichtet von unerhörten Begebenheiten - von riesigen Perlen, die ihrem Finder letzten Endes doch ein Vermögen bringen, von der Suche nach Gold, von Männern, die ihr Leben wagen, um ihre Träume zu verwirklichen, von Männern, die ein Imperium schaffen und wieder untergehen sehen, und von Männern, die inmitten von Eis und Schnee ums Überleben ringen. Lakonisch erzählt Jack London vom Leben und vom Tod - er ist ein großartiger Erzähler, und wie er auf wenigen Seiten eine Welt erschafft und mitunter auch wieder zerstört, das ist einzigartig. 

Ursula Niehaus: Die Tochter der Seidenweberin (Knaur)

Köln, zu Beginn des 16. Jahrhunderts: Die Seidenweberei floriert, und sie wird nahezu ausschließlich durch Frauen betrieben. Das verschafft ihnen die Chance auf eine halbwegs abgesicherte Existenz - doch nicht alle Seidmacherinnen halten sich an die Regeln der Zunft. Lisbeth Lützen- kirchen, die das Geschäft ihrer Mutter weiterführt, muss erkennen, dass es nicht gut ist, wenn einige Meisterinnen immer mehr Macht und Reichtum an sich raffen - auf Kosten anderer, die immer weniger in der Lage sind, ihren Lebensunterhalt zu erarbeiten. 
Auch die Fortsetzung des Romans um die Seidmacherin Fygen ist Ursula Niehaus gelungen. Das Buch liest sich gut, und Geschichte ist spannend - wenn sie so solide recherchiert wird. 

Sonntag, 23. Januar 2011

Hansjörg Schneider: Hunkeler und die Augen des Ödipus (Diogenes)

Eigentlich ist er schon so gut wie in Pension, der Kriminalkommissär Peter Hunkeler. Doch dann wird das Hausboot des Basler Intendanten Bernhard Vetter an einem Stauwehr aufgefunden - zwei Wochen nach einem dicken Theaterskandal. Hunkeler, der einst selbst im Theatermilieu verkehrte, macht sich auf die Suche nach dem Theater- mann, der gern so recht den Bürgerschreck gegeben hat, und nun vermutlich als Leiche auf dem Rhein dahintreibt. Der Kommissär trifft zahlreiche alte Bekannte wieder. Und gar nicht wenige davon haben mit dem Theaterdirektor noch eine Rechnung offen. Ein spannender Krimi, mit viel antibürgerlichem Geschwätz, gut gemischt mit Theaterintrigen - und einem durchaus bürgerlichen Finale.

Andreas Franz: Spiel der Teufel (Knaur)

Sie werden mit dem Versprechen einer besseren Zukunft im Westen geködert. Sie kommen mit dem Schiff, und niemand stört die Entladung dieser heiklen Fracht. Eine Spritze setzt allen Träumen ein Ende; die Organe sind bereits verkauft an skrupellose Superreiche. Es operieren die besten deutschen Spezialisten - motiviert durch viel Geld, und durch Erpressung. Die ausgeweideten Kadaver der Kinder und der jungen Leute werden dann zurück in die Heimat geschickt, ebenso wie die Leichen all jener, die diese kriminellen Geschäfte stören. 
Auf der Suche nach dem Mörder eines Kollegen gelingt es Polizisten aus Kiel, eine Klinik auffliegen zu lassen, in der illegale Organ- transplantationen vorgenommen werden. Doch die Mafia ist ihnen längst um Meilen voraus. Ein beklemmender Krimi, mit einem frustrierenden Schluss. 

Kerry Reichs: Braut auf Probe (Heyne)

Schon als Kind freute sich Kevin, genannt Vi, aufs Heiraten. Hochzeiten sind für die junge Dame aus der amerikanischen Provinz schlicht das Allergrößte. Doch dann bricht unter ihren Freundinnen die Torschlusspanik aus - und Vi erlebt elf Hochzeiten innerhalb von 18 Monaten. 
Dieses zweifelhafte Vergnügen beschert ihr die hässlichsten Kleider, in denen je Brautjungfern gesteckt haben, elf zumeist furchtbar langweilige Feiern, und Kosten von gut 50.000 Dollar. Und das Schlimmste daran: Die Ehen halten nicht. Als Vi diesen Hochzeitsmarathon hinter sich gebracht hat, lassen sich die ersten Paare schon wieder scheiden. Vi findet nun den "allerschönsten Tag im Leben" derart abschreckend, dass sie selbst darauf gern verzichten würde - wäre da nicht Niall, der das ganz anders sieht. Eine köstliche Komödie um Traditionen und den mehr oder weniger souveränen Umgang mit ihnen. 

Justyna Polanska: Unter deutschen Betten (Knaur)

"Justyna" kam aus Polen nach Deutschland, weil es in ihrer Heimat keine Jobs gibt. Bei uns gibt es welche - und sie lohnen sich auch, jedenfalls dann, wenn man den Fiskus und die Sozialkassen außen vor lässt. 
Die Autorin behauptet, sie sei Polin, etwa 30 Jahre alt, und wolle mit dem Geld, das sie verdient, eine Ausbildung zur Visagistin finanzieren. Auf ihre deutschen Brötchen- geber schaut sie mit einem Blick, der mitunter an einen Spaziergänger erinnert, der durch den Zoo marschiert - und sich vor den Affenkäfigen gut amüsiert. Das mag freilich auch mit am Verlag liegen, der dieses Büchlein als Skandalon vermarkten möchte. Doch für mehr als ein Skandälchen reicht sie nicht, die Liste jener ekligen Dinge, die unter deutschen Betten - huch! - herumliegen. Und dass es Leute gibt, die in der ererbten Villa sitzen, und trotzdem nicht das Geld haben, sich ein paar Brötchen zu kaufen, ist auch nicht wirklich eine Über- raschung. 
Dass hier und da ein männliches Wesen eine Reinigungsfachkraft für eine Expertin hält, die auch andere Dienstleistungen anbietet, und dass nicht alle weiblichen Wesen ihrer Haushilfe mit Respekt begegnen - nun ja, Manieren hat halt nicht jeder. Aber es ist der große Vorteil eines jeden Selbständigen, dass er sich seine Kundschaft aussuchen kann. Insofern - viel Lärm um nichts. Aber amüsant aufgeschrieben. 

Henrike Heiland: Für immer und ledig? (Heyne)

Tilly hat kein Glück mit Männern. Ihren Freund, den Sänger, erwischt sie mit einer Zweiten Geige im Orchestergraben. Und Kapellmeister Marc, eine heiße Affäre aus Studientagen, will heiraten - ausgerechnet ihre Schwester Fina, die Bankerin mit der Platin-Kreditkarte und den stählernen Nerven. 
Zu allem Überfluss ist auch noch Tillys Probenraum in Gefahr; ein Immobilienhai will das alte Gemäuer abreißen, und gewinnbringend neu bauen. Da sind die Künstler im Wege - auch Tillys Flügel stört. 
All das ist zuviel für die Musikerin. Doch eine große Portion Chaos bringt auch Entwicklungschancen. Warum beispielsweise kümmert sich Rupert mit seiner Agentur noch immer um die Pianistin, obwohl sie sich weigert, aufzutreten? Und von wem stammt eigentlich der Blumenstrauß, den Tilly jedes Jahr zum Jahrestag ihres Abschluss- konzertes an der Musikhochschule bekommt? 
Eine unterhaltsame Geschichte, die den ganz normalen Wahnsinn des Theateralltags ziemlich solide eingefangen hat - und dann beim Thema Heiraten kräftig übertreibt. 

Donnerstag, 6. Januar 2011

Michail Bulgakow: Arztgeschichten (Luchterhand)

Wo kann ein Arzt, der gerade erst mit dem Studium fertiggeworden ist, etwas lernen? In der Provinz, selbstverständlich! Und so wird der Absolvent Bulgakow als leitender (und einziger) Arzt ins Semstwokrankenhaus nach Nikolskaja verschickt - praktisches Jahr radikal, sozusagen, denn der nächste Arzt ist eine Tagesreise entfernt. 
Bulgakow berichtet von seiner Ankunft, und von seinen Patienten. Gleich am ersten Tag wird er zu einem jungen Mädchen gerufen, das in eine Maschine geraten ist, und dem er nun, vor den kritischen Augen des pflegerischen Personals, ein Bein amputieren muss. Der nächste Fall, ein Kind mit Diphterie, ist eigentlich nicht mehr zu retten - doch der junge Arzt wagt sich an einen Luftröhrenschnitt. Wenig später ruft ihn die Hebamme zu einer Gebärenden, deren Kind sich in Querlage befindet, und vom Arzt in der Gebärmutter gewendet werden muss, so dass die Geburt mit den Füßchen zuerst erfolgen kann. Schussverletzungen, Typhus, Syphilis - mehr als 15.000 Patienten behandelt Bulgakow innerhalb eines Jahres. Liebevoll erzählt er von den Bauern, die natürlich alle nicht mit einem Schnupfen in seine Praxis kommen - und davon, wie diese Erfahrungen aus einem Berufsanfänger einen Praktiker machen, der schon das Kreiskrankenhaus mit seinen fünf Arztkollegen als luxuriös empfindet. Geschichten von einem Anfang - nicht nur als Arzt, sondern auch als Autor.

Sonntag, 2. Januar 2011

Luc Deflo: Schnitzeljagd (Knaur)

Eine junge Frau findet abends nach einem Kinobesuch eine alte Frau in ihrem Auto vor. Sie lässt sich überreden, die Alte nach Hause zu fahren - und stellt unterwegs plötzlich fest, dass in ihrem Auto ein Mann sitzt, der sich darauf vorbereitet, sie anzugreifen. Vor Schreck verursacht sie einen Unfall - was ihr das Leben rettet, denn der psychopathische Killer flüchtet.
Ein Fall für Kommissar Dirk Deleu, der sich daran erinnert, dass er schon einmal eine Frau gesehen hat, die der Blondine wie eine Zwillingsschwester ähnelte - genauer gesagt, ihre enthauptete Leiche.

Italo Svevo: Zenos Gewissen (Diogenes)

Italo Svevo, der italienische Schwabe, nannte sich der 1861 in Triest geborene Ettore Schmitz. Dieses Buch ist eine Parodie auf die Psychoanalyse, die der Schriftsteller offenbar nicht besonders schätzte. Denn sein Held Zeno Cosini hat eigentlich keine Probleme - er muss nicht einmal arbeiten, um sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Und genau das ist sein Problem. Denn wenn so gar nichts zu tun ist, vergeht die Zeit unendlich langsam. Der Leser langweilt sich mit Zeno, denn die Handlung dieses Buches zieht sich hin, wie die Gespräche mit dem Analytiker. Selbst wenn Svevo witzig schreibt, so ist dieser Cosini doch ein ziemlicher Trottel - und es ist nicht gerade ein Vergnügen, ihn dabei zu beobachten, wie er durchs Leben stolpert.

Samstag, 1. Januar 2011

Leo Maasburg: Mutter Teresa (Pattloch)

Als Anjeze Gonxha Bojaxhiu aus dem albanisches Skopje 1928 mit gerade einmal 18 Jahren in Dublin in den Orden der Loreto-Schwestern eintrat, um als Missionarin nach Indien zu gehen, konnte niemand ahnen, welches Lebenswerk sie einst hinterlassen sollte. In Indien erlebte sie schlimmstes Elend - und verließ die Geborgenheit ihres Lebens als Schul- schwester, um in Armut den Ärmsten der Armen zu dienen, den Sterbenden, Waisen und Kranken, insbesondere den Leprakranken. 1979 erhielt sie den Friedensnobelpreis, 2003, lediglich sechs Jahre nach ihrem Tod, wurde sie seliggesprochen.
"Father Leo", über viele Jahre lang als Priester, Chauffeur, Reise- begleiter, Ratgeber und Übersetzer an ihrer Seite, hat in diesem Buch seine Erinnerungen an Mutter Teresa aufgeschrieben. Er erzählt viele Geschichten um die resolute Gründerin der Missionarinnen der Nächstenliebe - beeindruckend, großartig. Er zeigt sie als starke Persönlichkeit, die unbeirrbar ihren Weg ging. Von ihrem Glaubens- zweifel und auch von Kritik an ihrem Wirken findet sich kein Wort. Das macht das Buch einseitig, und das ist wirklich schade. Wer den Verdacht hat, hier eine katholische Propagandaschrift in Händen zu halten, der sollte auch ihre Tagebücher und Briefe lesen - und die Stimmen ihrer Kritiker prüfen.

Sebastian Fitzek (Hg.): P.S. Ich töte dich (Droemer)

Dieses schicke, stylisch aufgemachte Bändchen enthält 13 fiese Zehn-Minuten-Thriller von etablierten, durchweg exzellenten Krimi-Autoren. Die Kurz- geschichten, zusammengestellt von Sebastian Fitzek, vertreiben einem die Zeit auf Reisen, oder rauben einem den Schlaf - in jedem Falle sind sie beeindruckend. Und wer noch etwas über die Autoren erfahren möchte, der kann zudem ihre Handschriften- proben studieren, die er nebst Vita und einem freundlichen graphologischen Kurzgutachten ebenfalls in dem Bändchen findet.

Angela S. Choi: Hello Kitty muss sterben (Luchterhand)

Fiona Fu ist eine sehr erfolgreiche amerikanische Juristin. Und sie ist zugleich die Tochter chinesischer Eltern, die von ihr erwarten, dass sie sich auch so verhält: Schweigen, gehorchen, Lippenstift benutzen, keine Emotionen zeigen, und vor allem - einen chinesischen Mann heiraten. 
In der Woche schuftet sie in der Kanzlei, und schreibt dicke Rechnungen. Und am Wochenende hilft sie im Waschsalon ihrer Eltern aus, und wird Heiratskandidaten vorgeführt, die ihre Eltern für sie ausgesucht haben - und was sind das für Gestalten, o je! Durch Zufall trifft sie einen alten Schulfreund wieder, der nicht nur als Chirurg Karriere gemacht hat, wie Fiona bald herausfindet, sondern auch als Serienmörder. Und während er Prostituierte jagt, beginnt Fiona, sich der Heiratskandidaten zu entledigen. Unter anderem. Eine köstliche Satire über den American Dream und seine Schatten- seiten - brillant, boshaft, und schockierend.

Thomas Kastura: Das dunkle Erbe (Knaur)

Die Frau, die Geliebte und die Kollegin des Kölner Arztes Bernhard Schwan werden tot aufgefunden. Alles deutet darauf hin, dass er die drei ermordet hat. Das Motiv freilich bleibt unklar - und je länger Kommissar Klemens Raupach den Tatverdächtigen vernimmt, desto rätselhafter wird dieser Fall. Dann aber taucht eine amerikanische Journalistin auf, auf der Suche nach dem Erbe ihrer Vorfahren. Die Springmanns waren just in der Villa zu Hause, in der Schwan heute seine Praxis hat - und die Kunstschätze, die sie einst besessen haben, sind verschollen. 
Nach langer Suche findet sich schließlich eine Erklärung für die drei Morde - und auch für einen vierten, der offensichtlich einen der Täter aus dem Wege räumt. Des Rätsels Lösung wartet bei einer greisen Nachbarin - und hat die Dimensionen einer antiken Tragödie.

Leo Tolstoi: Auferstehung (Diogenes)

Fürst Nechliudow nimmt als Geschworener an einer Gerichtsverhandlung teil. In der Prostituierten "Ljubka" erkennt er seine Jugendliebe Katharina, die er einst im Hause seiner Tanten verführt und dann sitzengelassen hatte. Er fühlt sich schuldig, denn er kommt zu der Meinung, dass das Mädchen seinetwegen in diese schlimmen Verhältnisse geraten ist. Und deshalb folgt er der Verurteilten nach Sibirien, und bietet ihr die Ehe an - doch er muss erkennen, dass es "seine" Katjuscha nicht mehr gibt. Sie ist mit dem Kind gestorben, nachdem die Tanten sie davongejagt hatten. Und die Maslowa, die nun zur Zwangsarbeit abtransportiert wird, braucht und will den Fürsten nicht. 
Eine erschütternde Geschichte aus dem zaristischen Russland - auch wenn sie mit Tolstois umständlichen Überlegungen darüber gespickt ist, wie aus diesem Lande eine menschliche Gesellschaft werden könnte. Detailliert berichtet Tolstoi über die Mühlen der Justiz, die Schuldige und Unschuldige gleichermaßen zermalmen, und über den Strafvollzug - so unmenschlich, dass bereits kurze Haft den Tod bedeuten kann.

Peter Abrahams: Ausradiert (Knaur)

Nick Petrov, Privatdetektiv, soll die Tochter eines Callgirls finden. Doch bei seinen Ermittlungen wird er zusammengeschlagen, und verliert das Gedächtnis. Obendrein finden die Ärzte bei ihm auch noch einen Tumor. Doch Petrov gibt nicht auf. Hart- näckig versucht er, die wenigen Spuren, die er anschließend noch vorfindet, zu ver- folgen und zu verknüpfen. Wie bei einem Puzzle, so fügen sie sich schrittweise zu einem Bild zusammen. Das entscheidende Teil aber fehlt - bis zum atemberaubenden Finale. Denn Petrov bemerkt Parallelen zu einem Mordfall, den er vor Jahren gelöst hat. Als er sich endlich erinnert, ist es schon fast zu spät. Ein brillanter Krimi - spannend bis zur letzten Zeile!

Amanda Sthers: Der Gesang der Zikaden (Luchterhand)

Madeleine, 40, füllig, Angestellte eines Immobilienmaklers in Brest, führt ein ganz normales, unspektakuläres Leben - bis sie eines Tages einem feinen Herrn aus Paris ein Haus zeigen soll. Da beginnt eine ungewöhnliche Liebesgeschichte. Doch sie endet ebenso abrupt, wie sie begonnen hat. "Man verlässt seine Welt nicht für eine etwas füllige Bretonin, mit der man drei Worte gewechselt hat und eine halbe Stunde Sex hatte", kommentiert Sthers lakonisch. Und daran ändert sich nichts, auch wenn aus der halben Stunde Tage und Wochen werden.

Das Neue Testament (Diogenes)

Der Nachdruck einer ganz besonderen Bibelausgabe aus dem Jahre 1858: Das Neue Testament, und zwar in gleich vier Sprachen, jeweils parallel zu lesen in den vier Spalten einer Doppelseite. Diese Ausgabe enthält nebeneinander die "Urfassung" in Koine, einer Variante des Altgriechischen , die um die Jahr- tausendwende eine der wichtigsten Verkehrssprachen im Mittelmeerraum war, ihre Übersetzung in die Sprache der Kirche, die lateinische Vulgata, die deutsche Übersetzung Martin Luthers, und die in gleicher Weise bedeutsame Version der King James Bible aus dem Jahr 1611, die das heutige Englisch mitgeprägt hat. 
Dieses Novum Testamentum Tetraglotton ist ein typographisches Wunderwerk und zugleich ein Stück Religions-, Kultur- und vor allem Sprachgeschichte. Es gehört daher nicht nur in die Handbibliothek von Theologen, sondern ist auch ein unentbehrliches Arbeitsmittel für Übersetzer sowie für Sprach- und Kulturwissenschaftler. Dieses Buch ist vor allem aber auch ein schönes Buch, das in der Qualität von Druck, Einband und Schuber einer aussterbenden Spezies angehört. Lob und Dank sei dem Diogenes Verlag, der dieses Kulturdenkmal zu erschwinglichem Preise wieder zugänglich macht.