Freitag, 30. März 2012

Hansjörg Schneider: Flattermann (Diogenes)

Es ist Sommer in Basel. Kriminalkommissär Peter Hunkeler nimmt sein morgendliches Bad im Rhein. Als er gerade dabei ist, in der Sonne zu trocknen, beobachtet er, wie ein Mann von einer Brücke in den Fluss stürzt. Er hört dessen Schreie, und sieht ihn panisch mit den Armen rudern. Zu retten ist der Flattermann nicht mehr. Doch an den Selbstmord, den die Kollegen annehmen, glaubt Hunkeler nicht. Er folgt den Spuren des Alten - und findet dabei ein Stück weit sich selbst. 
Hansjörg Schneider hat etwas übrig für Lebensläufe, die nicht geradlinig verlaufen, für knorrige, eigensinnige Charaktere. Liebevoll erkundet auch Hunkelers zweiter Fall eine solche Seelenlandschaft. Es sind leise Krimis, doch sie sind hervorragend erzählt und unglaublich spannend; ihr Ausgang überrascht vollkommen. Das hebt sie heraus aus der Masse der marktüblichen Unterhaltungsromane - Hunkeler ist anders, und der schrullige Ermittler wird vielleicht sogar einmal einen Platz in den Reihen der legendären Ermittler erhalten. 


Prädikat: ****

Dora Prinz & Sabine Eichhorst: Ein Tagwerk Leben (Knaur)

1936, gerade 16 Jahre alt, verdingt sich Dora Prinz zum ersten Mal als Magd. Sie ist die älteste Tochter; die Eltern haben wenig, und müssen noch drei Mäuler stopfen. Harte Arbeit ist Dora bereits gewohnt: "Ich hab daheim müssen mel- ken, mähen und misten. Ich kann Holz hacken, dreschen und Mehl machen. Ich kann kochen, buttern, nähen, stopfen, einwecken", berichtet sie dem Bauern. Und ein Kalb habe sie auch schon allein geholt. 
Die Arbeit in Haus und Hof bleibt hart. In den 40er Jahren kommen die ersten Maschinen in die Dörfer - Balkenmäher, Melkmaschinen, Kartoffelroder, Traktoren. Der Lebensbericht von Dora Prinz fasziniert, nicht zuletzt weil er noch eine Ahnung davon vermittelt, wie gewirtschaftet wurde, bevor es Waschmaschinen, Kühlschränke, Elektroherde und Supermärkte gab. Und er fasziniert, weil die junge Frau - egal, wie sie von ihren Dienstherrn schikaniert worden ist - sehr stolz und selbstbewusst durchs Leben gegangen ist. 
Ende der 50er Jahre suchte sich Dora Prinz dennoch eine andere Arbeit. Einen halben Tag frei hatten Knechte und Mägde, nach dem Füttern, Melken und Misten am Sonntag, für den Kirchgang und ein paar private Erledigungen. Abends, pünktlich zum Melken und Füttern, mussten sie zurück sein. Und die Urlaubstage konnten sie an ihren Fingern abzählen. Irgendwann hatte sie genug:  "Man muss grad bleiben im Leben", sagt Dora Prinz. Dieses Buch ist der Beleg dafür, dass sie nicht einmal die Zeit beugen konnte. Wirklich sehr beeindruckend - und obendrein wundervoll geschrieben. 


Prädikat: ****

Mittwoch, 28. März 2012

Martin Walker: Schwarze Diamanten (Diogenes)

Trüffel sind der wichtigste Bodenschatz des Périgord. Auch einige Bürger des Städtchens Saint-Denis verdienen ein gutes Zubrot damit. Doch es gibt Ärger, denn ein Händler im Nachbardorf vermengt offenbar die "schwarzen Diamanten" mit billigen Importen aus Asien. Bruno Courrèges, Chef de police, muss in der Sache ermitteln. 
Er stürzt sich in die Arbeit, als er seinen alten Freund Hercule Vendrot ermordet auffindet, den größten Trüffelexperten der Region - und ein Mann mit Vergangenheit. Denn er war einst als Geheimagent in Indochina, in Algerien und auch in Frankreich tätig. 
Die Spurensuche freilich wird mehr und mehr zu einer unerquicklichen Angelegenheit. Denn je weiter zurück in der Vergangenheit die Spuren reichen, desto mehr ergeben die Puzzleteile ein Bild - und das zeigt mehr und mehr, dass auch in Saint-Denis so mancher Mitbürger schwarze Flecken auf der weißen Weste hat. Natürlich wird auch der dritte Fall durch Bruno aufgeklärt - aber nicht nur er wird dadurch etliche Illusionen einbüßen. Ein toller Krimi, der nebenbei auch Lektionen über einige Kapitel französischer Geschichte enthält, die man dort sicherlich gern vergessen würde. 


Prädikat: ****

Karen Rose: Todesstoss (Knaur)

Eve Wilson, angehende Psychologin, arbeitet an einem interessanten Forschungsprojekt: Shadowland, eine psychologische Studie, die auf einer virtuellen Community beruht. Doch dann stellt sie fest, dass ihr die Probanden abhanden kommen. Die Frauen sind tot, und der Killer hat sie in ihren letzten Minuten genau mit dem Szenarium konfrontiert, das sie am meisten fürchteten. Die Mordkommission jagt den Täter, aber die Polizisten kommen immer zu spät. Eve graut es, denn sie ahnt, dass der Psychopath auch hinter ihr her ist - und sie hat einen Mordanschlag überlebt. Karen Rose gelingt erneut ein Thriller, den man kaum aus der Hand legen mag. Dieses Buch ist unglaublich spannend!  


Prädikat: ***

Dienstag, 27. März 2012

Sandra Lessmann: Narrenkind (Knaur)

London, im 17. Jahrhundert: Arzt Alan Ridgeway erfährt von einem Patienten eine geradezu unglaubliche Geschichte. Die Schwester des jungen Mannes wurde mit einem reichen Geschäftsmann verlobt, der seine erste Frau ermordet haben soll. Seine Nachforschungen haben schon bald ein Ergebnis - was die Befürchtung nährt, dass George Holcroft buchstäblich über Leichen geht, um zu dem ersehnten Erben zu kommen. 
Ein Fall für den Jesuiten Jeremy, der sogar in die Abgründe des berüchigten Bedlam, des Irrenhauses von London hinabsteigt, um diesen Fall aufzuklären. Dabei riskiert er Gesundheit und Leben. Doch Jeremy und Alan müssen erfahren, dass der Schein trügt. Ein historischer Krimi mit einem verblüffenden Finale. 


Prädikat: *** 

Lene Rikke Bresson: Das Mädchen am Kreuz (Knaur)

Ein dänischer Kunstsammler entdeckt beim Blick aus dem Flugzeug eine weibliche Leiche. Sie liegt nackt und lila angestrichen auf einem lila Kreuz mitten in der Heide - und die Heide brennt. Ein verstörendes Kunstwerk, meint auch die Polizei; als weitere Morde folgen, fragt Kommissar Berg schließlich Mona um Rat.
Sie stammt aus einer bäuerlichen Familie, die furchtbar fromm und auch fürchterlich abergläubisch ist. Und sie hat einen schweren Unfall überlebt. Seitdem kann die Studentin nicht mehr lesen und schreiben - aber sie erkennt plötzlich Muster, die alle anderen übersehen. 
Bresson berichtet in ihrem Krimi, kunstvoll verschachtelt wie ein Bild aus einem Kaleidoskop, wie Mona sich den Weg freikämpft in ihr zukünftiges Leben - und dabei einige Rätsel löst. Denn die Dinge sind oftmals nicht so, wie dies auf den ersten Blick erscheinen mag. Ein spannender, höchst anspruchsvoll strukturierter Krimi mit viel Lokalkolorit.  


Prädikat: ***

Iny Lorentz: Juliregen (Knaur)

Der dritte und letzte Teil der Romane um Lore und Fridolin von Trittin - nach Dezembersturm und Aprilgewitter verspricht auch dieses Buch einige Turbulenzen. Und dabei sah es doch so aus, als könnte das junge Paar endlich in Ruhe und Frieden das Eheglück mit seinen beiden Kindern genießen. Doch während Fridolin alles daran setzt, ein Gut in der Nachbarschaft des Anwesens von Lores Freundin Nathalia zu erwerben, plant die Verwandtschaft aus Ostpreußen noch einmal die ultimative Rache. Ein spannender Schmöker aus der Zeit des Kaiserreiches - Hedwig Courths-Mahler hätte das nicht besser hinbekommen. 

Prädikat: **

Miguel de Cervantes Saavedra: Meistererzählungen (Diogenes)

"Geist und Neigung führten mich auf diesen Weg, und so kann ich nun mit Recht behaupten, daß ich der erste bin, der in kastilischer Sprache Novellen geschrieben hat", teilt uns der Autor im Vorwort zu diesen Meistererzählungen mit, die er selbst Novelas ejemplares genannt hat, Beispiel- hafte Novellen.
Die Begebenheiten, die Cervantes berichtet, sind in der Tat lesenswert - doch noch spannender ist die Art und Weise, in der der greise Schriftsteller von herumreisenden Zigeunern, umherirrenden Liebespaaren, dem gläsernen Lizentiaten oder zwei schwatzhaften Hunden erzählt. Ach, es tut gut, von Zeit zu Zeit "richtige" Literatur zu lesen, mit Dialogen, die mehr sind als Gerede, und mit einer Handlung, die von Phantasie und Witz ge- tragen wird. Herzlichen Dank an den Diogenes-Verlag, der sich solche Editionen auch im Facebook-Zeitalter noch leistet. 



Prädikat: *****

Anne Hertz: Wunschkonzert (Knaur)

Stella hat in der Musikbranche Karriere gemacht. Doch ihr sorgsam durchgestyltes Ego gerät in Seenot, als ein Konkurrent ihr Label übernimmt. Denn dort gibt es bereits einen Senior A&R-Manager. Und obendrein entführt der neue Chef gleich das ganze Team auf eine Art Klassenausflug - Ziel: Selbstfindung. Doch was zu viel ist, ist zuviel, meint Stella. Ein köstlicher Lesespaß aus der Werkstatt der Schwestern Frauke Scheunemann und Wiebke Lorenz, die unter dem Pseudonym Anne Hertz publizieren. 


Prädikat: **

Lotte und Sören Hammer: Schweinehunde (Droemer)

Zwei Schulkinder entdecken in einem Vorort von Kopenhagen fünf gruslig zugerichtete männliche Leichen. Sie wurden in einer Turnhalle aufgehängt, sorgsam und mit geradezu mathema- tischer Präzision. Damit ist der Urlaub von Kriminalhauptkommisar Konrad Simonsen zu Ende. Und schon bald gibt es Gerüchte, dass es sich bei den Mördern um Missbrauchsopfer handelt, die sich an ihren einstigen Peinigern gerächt haben. Eine unappetitliche Geschichte mit einem ganz erstaunlichen Finale. 


Prädikat: ***

Dashiell Hammett: Rote Ernte (Diogenes)

Peaceville ist ein etwas vergammeltes Bergwerksstädtchen, und außerdem alles andere als nett und friedlich. Soeben wurde der Sohn des einflussreichsten Mannes der Stadt erschossen. Wer der Mörder war? Der Detektiv, der danach sucht, hat reichlich Auswahl an Verdächtigen. Denn in Pissville scheint nahezu jeder Dreck am Stecken zu haben - doch das lässt sich auch für die Ermittlungen ausnutzen, wie der Erzähler bald feststellt. Ein rasanter Kriminalroman alter Schule, der deutlich macht, wie Korruption funktioniert - und warum sie der Untergang eines jeden Gemeinwesens ist. Das ist spannend, und große Literatur ist es auch. 


Prädikat: *****

Peter Prange: Die Gottessucherin (Knaur)

Dieses Buch erzählt von einer Jüdin, die ihren Mann verachtet, weil er den Glauben verleugnet. Denn er will Geld verdienen, und das kann er in Portugal, wo alle Juden vertrieben, zwangsgetauft oder getötet worden sind, nur, wenn er als Christ lebt. Es ist nicht irgendeine Geschichte. Denn Peter Prange erzählt den Lebensweg von Gracia Mendes - jener Jüdin, die ein Handelshaus führt, und nach einer Flucht durch halb Europa schließlich in Konstantinopel Zuflucht findet. Ihr gelingt es, Tausende ihrer Glaubensgenossen vor der Inquisition zu retten. Sultan Süleyman ist es egal, woran seine Untertanen glauben - wenn sie nur pünktlich Steuern zahlen. Dieser Roman ist weit mehr als ein Historienschmöker - doch auch wer einfach nur spannende Lektüre sucht, wird Vergnügen daran haben. 


Prädikat: **

Montag, 26. März 2012

Patrick Bauer: Die Parallelklasse (Luchterhand)

"Ahmed, ich und die anderen - die Lüge von der Chancengleichheit", nennt Patrick Bauer dieses bewegende Buch. Was war geschehen? Der Journalist war auf die Suche nach seinen ehemaligen Schul- kameraden von der Grundschule gegangen - und hat dabei teilweise erschütternde Lebensgeschichten erfahren. Denn Bauer hat eine Grundschule in Berlin-Kreuzberg besucht. Und während die Kinder der Mittelschicht - auch die des zugewanderten Physikers - letzten Endes so etwas wie eine Karriere hinlegen, bleiben die aus der Unterschicht üblicherweise, was auch ihre Eltern schon waren: Unterschicht. Egal, ob sie Sven heißen, Cem oder Ahmed. Chancengleichheit gibt es auch nicht für die Mädchen, wenn sie Sibel oder Aylin heißen. Denn wenn sie wirklich etwas lernen wollen, dann geht das üblicherweise gegen die Traditionen der türkischen, kurdischen, arabischen und vieler anderer Familien, in denen Töchter in erster Linie gehorchen, heiraten und Enkel liefern sollen. Multikulti? Das Idyll hat Risse, zeigt Bauer, und es funktioniert noch nicht einmal dort, wo nur Deutsche im Spiel sind: Auch Kevin und Maximilian haben sich eher wenig zu sagen. 


Prädikat: **

Karen Rose: Todesspiele (Knaur)

Mädchen verschwinden spurlos, nachdem sie im Internet geflirtet hatten. Manche von ihnen werden später gefunden - genauer gesagt ihre bestialisch verstümmelten Leichen. Die Polizei sucht nach dem Täter; doch schon bald zeichnet sich ab, dass der Mädchenhändlerring, den sie hinter den brutalen Morden vermuten, Helfer hat. Auch in den Reihen der Polizei. Eine gruslige Story mit Sogwirkung von der Meisterin des Psychothrillers, Karen Rose. 


Prädikat: ***

Andrea Vamoni: Unschuldig (Diana)

Aufregung bei einer Berliner Filmpro- duktion: Am Drehort wird eine grausam verstümmelte Leiche vorgefunden. Es bleibt nicht die einzige - und Kommissarin Paula Zeisberg hat wenig Zeit, sich um ihre Schwester und ihren kleinen Neffen Manuel zu kümmern, die zu Besuch angereist sind. Aus dem geplanten Familienurlaub wird nichts, denn Zeisberg muss den Mörder fassen, der offenbar gestört ist. Dabei ahnt sie nicht, dass sie von dem Psychopathen bereits beobachtet wird. Als erkennt, was den Täter antreibt, ist es schon fast zu spät - eine spannende Geschichte, die zeigt, wie schmal der Grat zwischen normal und verrückt mitunter sein kann. Denn auch die Opfer haben schwere Schuld auf sich geladen. 


Prädikat: **

Georges Simenon: Die Marie vom Hafen (Diogenes)

Die Geschichte eines jungen Mädchens, das in einem Fischerdorf in der Normandie lebt - und plötzlich ohne Eltern auskommen muss. Das schafft Marie auch, doch was sie denkt, das erfährt der Leser ebenso wenig wie ihre Nachbarn. 
"An ihren Werken sollt ihr sie erkennen", so steht geschrieben - und Simenon macht daraus ein künstlerisches Prinzip.Wie alle seine Romane, lebt auch dieser von Andeutungen, schmalen Sätzen, in denen nichts überflüssiges ist. Erstaunlicherweise vermittelt er gerade deshalb eine Ahnung vom Wesen  der Menschen, von denen er erzählt, weit mehr, als das anderen Autoren mit wort- reichen Beschreibungen gelingt. Ein starkes Buch; Simenon möchte man immer wieder lesen. 


Prädikat: *****