Donnerstag, 31. Mai 2012

Yiyun Li: Die Sterblichen (dtv)

Dieser Roman beschreibt China, wie es die Regierung ganz sicher nicht gern dargestellt sieht. Yiyun Li schildert das Leben in der Provinz, in dem Städtchen Hun Jiang. Dort wird 1979 eine junge Frau hingerichtet, die einst, zur Zeit der Kulturrevolution, eine fanatische Rotgardistin war - und später den revolutionären Eifer ihrer Generation ebenso heftig ablehnte. 
Die Autorin zeigt uns einige der Bewohner von Hun Jiang, und lässt uns an ihrem Alltag teilhaben. Der aber gerät infolge der Hinrichtung zunehmend aus dem gewohnten Trott. Denn einige Städter nehmen diese Entscheidung der Obrigkeit nicht so einfach hin. Zumal die lokale Elite durchaus darüber informiert ist, dass der Hingerichteten vor der Zeremonie bereits die Nieren entfernt worden sind - die benötigte ein hoher Funktionär. Selbst zaghafter Protest wird jedoch umgehend brutal niedergeschlagen. 
Der Leser stellt zudem erstaunt fest, dass all diese vermeintlichen Einzelschicksale wie in einem Netzwerk miteinander verwoben sind - und auch die Konsequenzen, die dies hat, zeigt die Autorin, deren Text zunehmend die Wucht einer griechischen Tragödie entwickelt. 


Prädikat: ****

Mittwoch, 23. Mai 2012

Christian Limmer: Unter aller Sau (Droemer)

Zwei Dorfpolizisten finden im Wald eine Leiche. Bald stellt sich heraus, dass die Tote in einem als Kosmetiksalon getarnten Bordell im Nachbardorf gearbeitet hat - und mit dem Frieden in der Gemeinde ist es vorbei. Hauptkommissar Lederer von der Kripo Straubing übernimmt die Ermittlungen. Das macht es nicht besser, denn sein IQ ist nicht wesentlich höher als der seiner Kollegen vom Lande. Allerdings sind seine Methoden, betrachtet man den Fall vom Ende her, nun ja, konventioneller. 
Mit Autor Christian Limmer ist bei diesem Krimi wohl der Pegasus durchgegangen. Was für ein Schmarrn! Im Vergleich zu dieser Räuberpistole aus Niederbayern sind die Krimis aus dem Allgäu ja Literatur - und witzig sind sie obendrein, was sich von diesem Buch nicht sagen lässt. 


Prädikat: *

Dienstag, 22. Mai 2012

Kjell Eriksson: Offenes Grab (dtv)

Als Professor Bertram von Ohler den Nobelpreis erhält, ist sein ruhiges Leben zu Ende.  Denn Kollegen und Nachbarn sind neidisch auf den Ruhm, zu dem der 85jährige so unverhofft gekommen ist. Seiner langjährigen Haushilfe ist der Trubel zuviel; sie kündigt und geht in Rente. Und ein junger Gärtner verschwindet spurlos von einem Nachbargrundstück. Kjell Eriksson erzählt von einem Verbrechen, das der Kriminalpolizei noch gänzlich unbekannt ist - und beim Leser Gefühle zwischen Abscheu und Mitleid weckt. 


Prädikat: **

Sonntag, 20. Mai 2012

Herman Melville: Meistererzählungen (Diogenes)

Kaum zu glauben, aber dieser Autor ver- diente sein karges Brot erst als Matrose, später als Landwirt, und starb schließlich als Zollinspektor - von seinen Werken konnte Hermann Melville (1819 bis 1891) nicht leben; kaum jemand interessierte sich dafür. Von seinem berühmtesten Buch Moby-Dick wurden zu Lebzeiten Melvilles kaum 3000 Stück verkauft. 
Das änderte sich erst in den 20er Jahren, als Literaturwissenschaftler seine Werke wiederentdeckten. Im Diogenes Verlag ist eine Auswahl seiner besten Erzählungen erschienen. Sie lesen sich so lebendig, und so modern, dass man meint, sie können unmöglich vor mehr als hundert Jahren geschrieben sein. Banadonna wird von seinem Roboter erschlagen. Und die Geschichte von Bartleby, dem Schreiber, der seinen Satz "Ich möchte lieber nicht." wie ein Mantra wiederholt, könnte auch von Kafka stammen. Das ist faszinierend, das ist großartig, das muss man wirklich lesen. 


Prädikat: *****


Wulf Dorn: Kalte Stille (Heyne)

In einer kleinen Stadt häufen sich seltsam die Todesfälle. Doch während die Polizei in diesem Buch eigentlich keine Rolle spielt, ahnt ein Psychiater, wo sich die Quelle allen Übels befindet. Jan Forstner ist zurückge- kehrt an den Ort seiner Kindheit - dorthin, wo er einst erleben musste, wie die Nachbarstochter bei eisigen Temperaturen im Nachthemd durch den Stadtpark gerannt kam, und wenig später in einem Teich ertrank.  Dorthin, wo wenige Tage später sein kleiner Bruder Sven spurlos ver- schwunden ist, der Vater bei einem Unfall starb, und die Mutter sich die Pulsadern aufschnitt.  
Jan sucht den Täter - in der psychiatrischen Anstalt, in der schon sein Vater als Arzt beschäftigt war. Und damit der Leser sich nicht langweilt, legt Dorn eine geradezu monströse Spur aus Leichen. Damit macht der Autor seine Geschichte unglaubwürdig; schade, denn ansonsten ist das Buch ziemlich spannend. 


Prädikat: **

Dienstag, 8. Mai 2012

Dieter Hildebrandt: Schillers erste Heldin (dtv)

Dieses Buch erzählt die Lebensgeschichte von Christophine Reinwald (1757 bis 1847), geborene Schiller. Sie war nicht nur die Schwester Friedrich Schillers, sondern auch die Vertraute seiner Jugendjahre. Bis zu ihrem 28. Lebensjahr blieb sie bei ihren Eltern und kümmerte sich um den Haushalt und die jüngeren Geschwister. Dann hei- ratete sie Wilhelm Reinwald, Bibliothekar des Herzogs zu Meiningen, und führte ihm 30 Jahre lang, bis zu seinem Tode, den Haushalt - unter nicht ganz einfachen Be- dingungen, denn ihr Ehemann erwies sich als schrullig und knausrig. 
Der Leser erfährt erstaunt, welchen Beschränkungen sich Schillers Schwester, die diese Ehe gegen den deutlich erklärten Rat ihres Bruders eingegangen war, fügte. So ließ Reinwald seine Frau Zeichenunterricht geben, um die Haushaltskasse aufzubessern, und jeden einzelnen Briefbogen musste sie erbitten und rechtfertigen. Denn der Bibliothekar, der im übrigen ein ausgewiesener Experte für altdeutsche Literatur war, vertrat die Auffassung, dass es die Aufgabe des Mannes sei, Korrespondenzen für die Familie zu führen. 
Es wird nicht verblüffen, dass Christophine nach Reinwalds Tod Meiningen zunächst den Rücken kehrte. Sie ging zurück ins Württem- bergische, doch eine Heimat fand sie erst, als sie wieder in die thüringische Residenz zog. Dort war sie sehr beliebt, und als Witwe konnte sie endlich ihr Leben leben. Dieter Hildebrandt zeichnet hier mit unglaublichem Fleiß, bewundernswerter Gründlichkeit und nach einer intensiven Recherche in diversen Archiven das Bild einer Frau, die man nur bewundern kann. Denn heutzutage werden Ehen schon aus ganz anderen Gründen geschieden. 


Prädikat: ****

Freitag, 4. Mai 2012

Nicole Mtawa: Sonnenkinder (Knaur)

"Mein Leben für die Armen in Indien", lautet der Untertitel dieses Buches. Die Autorin, Jahrgang 1979, stammt aus Schwäbisch Gmünd, und studierte zunächst Bekleidungstechnik. Doch aus der deutschen Provinz zog es sie in die Ferne. Zunächst ging sie nach Australien, dann nach Afrika und Indien - wo sie jede Menge Not und Elend vorfand. Und da zum Hilfs- werk heutzutage offenbar auch das Buch gehört - der Eindruck von Authentizität erhöht ganz sicher die Spendenbereit- schaft! - berichtet sie hier über ihre Arbeit in Delhi, wo sie bis zu acht Kinder in einer Art Kinderheim betreuen. Link zur Vereinshome- page inklusive. 


Prädikat: **

Eve Haas: Das Geheimnis des Notizbuchs (Heyne)

Eve Haas erzählt die Geschichte ihrer Familie. Sie ist 16 Jahre alt, als ihr der Vater zum ersten Mal ein Notizbuch mit einer geheimnisvollen Widmung zeigt. 
Mit ihren Eltern konnte sie sich 1934 aus Berlin nach London retten. Ihre Oma Anna aber starb in Theresienstadt, wohin sie 1942 verschleppt wurde. Wenn sie gewusst hätte, was Eve Haas in den Archiven herausgefunden hat - in diesem Buch berichtet sie über ihre Spurensuche - dann hätte sie nicht als Abkömmling eines jüdischen Schneiders gegolten, sondern als Tochter aus polnischen Adel, und als Enkeltochter des Prinzen August von Preußen. 


Prädikat: ***

Peter Wilhelm: Darf ich meine Oma selbst verbrennen? (Knaur)

Was ist zu tun, wenn die Oma in der Gartenlaube verstorben ist - und es dorthin keinen Fahrweg gibt? Darf man eine Leiche auch ohne Bestatter unter die Erde bringen? Und kann man die Oma nicht auch selbst im Backofen einäschern? Deutschlands bekanntester Bestatter, Peter Wilhelm, gibt in diesem Buch Antwort auf solche und viele andere Fragen. Es ist zum Teil wirklich kurios, was die Leute inte- ressiert - und viele Antworten sind daher auch sehr lustig. 


Prädikat: ***