Montag, 29. April 2013

Hans Sahl: Der Mann, der sich selbst besuchte (Luchterhand)

In vier Bänden sind die Werke von Hans Sahl (1902 bis 1993) bei Luchterhand erschienen. Der Autor, Sohn eines jüdischen Industriel- len aus Dresden, begann Mitte der 20er Jahre mit dem Schreiben. Vor den Nazis floh er über Frankreich in die USA. 
Doch er blieb Europa zugewandt, und arbei- tete nach Kriegsende als Korrespondent zunächst für die Zürcher Zeitung, dann für die Süddeutsche. 1989 kehrte er schließlich nach Deutschland zurück, seinen Lebens- abend verbrachte er in Tübingen. 
Dieser letzte Band der Werkausgabe enthält die Erzählungen und Glossen von Hans Sahl. Die Texte sind ein Ereignis. Ich bin begeistert - eine derartige Präzision im Ausdruck, sprachliche Sensibilität und Treffsicherheit in den Pointen findet sich wirklich selten. Sahl vereint in seinen Texten Lakonie und Witz. Selbstverständlich ist auch ihm nicht jede Zeile gelungen. Dennoch sind seine Werke weit mehr als bloße Zeitdokumente. Was für eine Entdeckung! 

Prädikat: ****

Petra van Laak: Auf eigenen Beinen (Droemer)

"Eine vierfache Mutter startet in die Selbständigkeit", so rühmt die Unterzeile dieses Buches. Wie schön, aber hatten wir davon nicht bereits in aller Ausführlichkeit gelesen? Da gab es doch schon ein Buch, wo die rührende Geschichte erzählt wird, wie die ehemalige Managergattin mit ihren vier Kindern aus der Villa in eine Bruchbude zieht - und dann mit diversen Jobs ver- sucht, ein akzeptables Einkommen zu er- zielen. Denn Hartz IV ist zugegebenerweise für eine studierte Kunstwissenschaftlerin nicht ganz standesgemäß.  
Dass Petra van Laak ihr Geld nun mit Texten verdient, das wissen wir bereits aus Band eins. Und Band zwei verrät, ehrlich gesagt, nicht wirklich mehr - abgesehen davon vielleicht, dass textvanlaak unbedingt ein Büro braucht, weil frau zu Hause nicht kreativ arbeiten kann. Und dass es eine Internet-Seite gibt, über die die Leute doch, bittebitte, die Autorin kontaktieren können. Respekt! So eine schicke, dicke Werbebroschüre in einem namhaften deutschen Verlag gedruckt zu bekommen, das gelingt wirklich nicht jedem. 

Prädikat: --

Montag, 22. April 2013

Karl O. Kagel: Geschenksendung, keine Handelsware (Athene Media)

Professor Dr. Karl Otto Kagel floh 1988 mit seiner Familie aus der DDR. In diesem Buch erzählt er seine Geschichte. Sie beginnt in einem Bauernhof in Vorpommern - und führt Kagel bis zu einer Professur an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität in Greifswald. 
Viele kleine Nadelstiche sind es dann, die dem Chirurgen und Radiologen das Dasein im Arbeiter- und Bauernstaat vermiesen. Irgendwann sieht er für sich und seine Angehörigen dort keine Zukunft mehr - und wählt die Flucht, die er glücklicherweise sehr klug vorbereitet hat. Was er dann allerdings über seine Ankunft im "Westen" berich- tet, das ist desillusionierend. Wie also kann man ein anständiger Mensch bleiben, inmitten von Intrigen, Neid und Korruption? Die Antworten, die Kagel darauf gibt, lassen für unsere Gesellschaft grundsätzlich nicht viel Hoffnung. 

Prädikat: ****

Donnerstag, 4. April 2013

Reinhard Jirgl: Mutter Vater Roman (dtv)

Dieses Buch hat mich schon fasziniert, als es 1990 erstmals im Aufbau Verlag er- schien. Auch wenn die Auseinandersetzung mit der Nachkriegszeit, die Suche nach den Rissen in Fundament der DDR-Gesellschaft, aus denen die alten Gespenster gekrochen kommen, nicht das beherrschende Thema meiner Generation ist, so ist die Collage, die Jirgl hier aus Textfetzen montiert hat, doch sehr beeindruckend. Der Mutter Vater Roman  liest sich nicht unbedingt einfach, aber er berichtet unglaublich viel über die Konstruktion von Identität - und über die Doppelbödigkeit von Sprache. 

Prädikat: ***

Anne Hertz: Flitterwochen (Knaur)

Lehrerin Tine will ihren Verlobten, Bank- direktor Alexander, heiraten - und zwar auf den Seychellen, denn ihr wurde geweissagt, dass ihre Hochzeit zur Osterzeit im Ausland stattfinden wird. Als sie aber zur Bank fährt, um nach dem Brautkleid auch noch ein paar Seychellen-Rupien für die Reise abzuholen, passiert ihr ein Missgeschick. Und so kommt es, dass sie wenig später mit Oma Strelow, einer Urne mit der Asche von Opa Heinzi, Altenpfleger Jan und 20.000 Euro unterwegs ist - nach Kolberg. Den Hamburger Autorinnen Frauke Scheunemann und Wiebke Lorenz, die ihre Bücher unter dem Pseudonym Anne Hertz veröffentlichen, ist erneut eine Geschichte gelungen, die die Lachmuskeln der Leserinnen anstrengen dürfte. Denn die Begegnung mit Jans polnischer Familie hat Folgen. Mehr wird an dieser Stelle nicht verraten. Wer Komödien liebt, der wird sich beim Lesen garantiert hervorragend amüsieren.

Prädikat: ***

Friedrich Dönhoff: Seeluft (Diogenes)

In Altona wird ein Toter gefunden. Zunächst sieht alles nach einem Unfall aus. Doch Sebastian Fink von der Kripo Hamburg hat da so ein Gefühl - und je mehr er sich mit  dem Fall beschäftigt, desto stärker wird sein Unbehagen. Denn der Tote war Chef einer Reederei - und außer seiner Geliebten weint ihm niemand eine Träne nach. 
Die Suche nach einem Mörder bringt Fink auf die Spur eines veritablen Umwelt- skandals. Und der wiederum führt den Hauptkommissar zu einer Täterin, die aber mit dem Tod des Reeders nichts zu tun hat. Friedrich Dönhoff hat einen Kriminalroman geschrieben, der so komplex ist wie das Leben selbst. In diesem Buch gibt es nicht einmal auf die Frage nach Schuld und Sühne einfache Antworten. 

Prädikat: ***

Dienstag, 2. April 2013

Irmtraud Morgner: Leben und Abenteuer der Trobadora Beatriz nach Zeugnissen ihrer Spielfrau Laura (Luchterhand)

Irmtraud Morgner (1933 bis 1990) konnte mit dem sozialistischen Realismus nur sehr bedingt etwas anfangen. Ihr bedeutendstes Werk ist die Salman-Trilogie, in der die Schriftstellerin eine sehr eigene Sicht auf die Geschichte, insbesondere auch des weiblichen Teils der Menschheit, zu Papier gebracht hat. 
"Leben und Abenteuer der Trobadora Beatriz nach Zeugnissen ihrer Spielfrau Laura", 1974 im Aufbau-Verlag erstmals erschienen, ist der erste Band davon. Den zweiten Band - "Amanda. Ein Hexenroman" - konnte die Schriftstellerin noch voll- enden. Doch dann erlag Irmtraud Morgner einer Krebserkrankung. 
Der dritte Teil wurde schließlich durch Rudolf Bussmann aus dem Nachlass rekonstruiert und erschien 1998 unter dem Titel "Das heroische Testament" beim Luchterhand Literaturverlag, der das Werk auf Wunsch der Autorin seit 1990 betreut. Leider hatte der Verlag ihre Bücher zwischenzeitlich aus ökonomischen Gründen aus dem Programm genommen.
Umso erfreulicher ist es, dass zumindest der erste Teil der Trilogie nunmehr wieder erhältlich ist. Er berichtet über Beatriz de Dia, eine provenzalische Minnesängerin, die von der Männerwelt des Mittel- alters die Nase voll hatte. Nach 800 Jahren Schlaf wacht sie 1968 auf, und stellt fest, dass sich leider nicht sehr viel geändert hat. Doch dann geht sie in die DDR, wo ja alles besser sein soll. Was die Trobadora dort erlebt, das erzählt Morgner in einer faszinierenden literarischen Montage, und ihr Text lässt noch immer schmunzeln - vermutlich  auch Leser, die die DDR nicht selbst erlebt haben. 

Prädikat: *****