Donnerstag, 28. Januar 2016

Kate Riordan: Im Spiegel ferner Tage (Heyne)

Alice, 22 Jahre jung und Schreibkraft bei einem Verleger in London, hat eine Affäre mit den Buchhalter. Als sie feststellt, dass sie schwanger ist, ist diese Beziehung schon lange vorbei – doch was nun? 
Die Mutter schickt Alice zu einer Bekannten auf ein Gut im malerischen Gloucestershire. Dort soll sie leichte Hausarbeit verrichten, und ihr Kind zur Welt bringen, damit niemand etwas mitbekommt. Denn damals, 1932, war ein uneheliches Kind ein Desaster, und ruinierte die Aussichten einer jungen Frau auf eine Heirat endgültig. Heiraten aber soll Alice; auch wenn sie derzeit noch von ganz anderen Dingen träumt als von einem Ehemann nebst Häuschen und Kinderschar. 
Fiercombe Valley erweist sich als ein magischer Ort. Wenn sie nicht unter Aufsicht von Mrs Jelphs Silber poliert oder Vorhangquasten sortiert, erkundet Alice das Anwesen. Im Sommerhaus findet sie das Tagebuch der einstigen Gutsherrin Elizabeth, und Nachbarn berichten ihr mehr über die Gebäude und ihre früheren Bewohner. Die Lebensgeschichte von Elizabeth, die sie allmählich erfährt, berührt sie auf eigentümliche Weise, ebenso wie Fiercombe, das offenbar seine Eigenheiten hat. Doch noch während sie nach den Spuren der schönen Gutsherrin sucht, beginnt eine neue Liebesgeschichte. Denn Alice lernt Thomas Stanton kennen, den Erben, der das Gut in naher Zukunft übernehmen soll. 
Kate Riordan schreibt einfühlsam und erzählt so detailreich, dass der Leser Fiercombe Manor und seine Bewohner geradezu vor sicht sieht. Ein gelungenes Buch, spannend bis zur letzten Seite. 

Prädikat: ***

Mittwoch, 27. Januar 2016

Mechtild Borrmann: Die andere Hälfte der Hoffnung (Droemer)

Ein alter Mann versteckt eine junge Frau, die offensichtlich verfolgt wird. Sie stammt aus Osteuropa, und sie will nicht nach Hause zurückkehren ohne ihre Freundin, der die Flucht nicht gelungen ist. Nach Deutschland gekommen ist sie als Studentin – das jedenfalls glauben die Mädchen, bis sie endlich begreifen, dass sie nur eine Handelsware sind. 
Das Leben in der Heimat aber ist auch kompliziert. Walentyna, die Mutter der Freundin, wartet vergeblich auf die versprochenen Briefe. Um nicht zu verzweifeln, schreibt sie ihre Lebensgeschichte auf – und Autorin Mechtild Borrmann macht mit diesem Wechsel der Erzählperspektive deutlich, dass dort, wo Kateryna und Olena herkommen, ein Menschenleben ebenfalls wenig zählt. Handwerklich geschickt berichtet sie über die Katastrophe von Tschernobyl und macht deutlich, welche Folgen sie auch langfristig für die Betroffenen hat. 
In der Ukraine ermitteln vier Polizisten, die einander nicht trauen, denn Gründe zum Verrat gibt es viele, und niemand weiß, wer letztendlich auf welcher Seite steht. Als der Milizionär Leonid Kyjan tatsächlich eine Spur findet, wird er entlassen. Trotzdem reist er nach Deutschland, und ihm gelingt es, gemeinsam mit den deutschen Kollegen die Menschenhändler zumindest zu stören. Wer diesen Krimi gelesen hat, der ahnt, dass das Geschäft weitergehen wird – mit anderen Handlangern, vielleicht auch an einem anderen Ort. 

Prädikat: ***

Val McDermid: Der lange Atem der Vergangenheit (Droemer)

In einem Türmchen auf dem Dach eines seit vielen Jahren leerstehenden Schulgebäudes in Edinburgh wird ein Skelett gefunden – mit einem Einschussloch im Schädel. Ein Fall für Detective Chief Inspector Karen Pirie und ihre Cold Cases Unit. Und ein Zufall hilft ihr bei der Suche. Denn der Tote hatte die Schlüsselkarte eines Hotels in seiner Hosentasche. Und auf dem Magnetstreifen dieser Plastikkarte finden sich darüber hinaus noch Spuren einer Bankverbindung. 
Parallel zu ihren Nachforschungen erzählt Autorin Val McDermid die Geschichte von Maggie Blake. Die Professorin an der Universität Oxford ist Expertin für das frühere Jugoslawien. Sie hat den Balkankrieg in Dubrovnik erlebt – und sich dort in Dimitar Petrovic verliebt, einen kroatischen General, der wohl auch für den Geheimdienst tätig war. Gemeinsam lebten sie in England, bis der Mann urplötzlich und spurlos verschwand. Blake vermutet, er habe alle Brücken abgebrochen, um in seiner Heimat alte Rechnungen zu begleichen. 
Das denken auch die Experten vom Internationalen Strafgerichtshof. Sie stellen fest, dass ihnen mehrfach ein Unbekannter in die Quere gekommen ist, und Kriegsverbrecher getötet hat, bevor sie verhaftet werden konnten. Auch sie setzen alles daran, den Täter zu finden. Diese drei Handlungsstränge führt Val McDermid gekonnt zu einem Krimi zusammen, der es in sich hat. Denn im ehemaligen Jugoslawien sind grausige Dinge geschehen – mitten in Europa, unter angeblich zivilisierten Menschen.

Prädikat: ****

Sonntag, 24. Januar 2016

Kristine Bilkau: Die Glücklichen (Luchterhand)

Cellistin Isabell und Redakteur Georg sind ein Paar, ein glückliches, mit einer Wohnung in bester Lage, mit Parkett und hohen Räumen. Mit der Geburt von Sohn Matti wächst aber nicht ihr Glück nicht wirklich. Beide fühlen sich unter Druck, und sind verunsichert: Isabell will zurück in ihr Musicalorchester – doch wenn sie ein Solo spielen muss, zittern nun ihre Hände. Und in Georgs Redaktion wollen Gerüchte nicht verstummen, der Verlag wolle die Zeitung verkaufen. 
Das Haus wird saniert; im Treppenhaus hängt jetzt ein Kronleuchter, und der Vermieter schickt eine Mieterhöhung. Die jungen Eltern beginnen zu zweifeln, zu rechnen und zu vergleichen – jeder für sich, denn miteinander reden sie immer weniger. Und wenn sie durch die Straßen laufen, dann lautet plötzlich die Botschaft all der Wohnungen mit den geschmackvollen Wandfarben und den Bücherregalen: Wir können, ihr nicht. Das Kiez mit seinen Cafés und Läden, dem Park und den Spielplätzen mit all den anderen Eltern ist auf einmal nicht mehr ihres. Kristine Bilkau zeigt uns in ihrem Debütroman eine Generation, die keinen Plan B hat – Perfektion als Lebensziel, Scheitern ist da nicht vorgesehen. Diese Menschen verhungern vor der vollen Krippe, weil sie denken, dass sie nur von ihrem goldenen Tellerchen und mit ihrem silbernen Gäbelchen essen können. Und so lebten sie sich denn auseinander. Was für ein schäbiges Paradies! 

Prädikat: ****

Samstag, 23. Januar 2016

Andrea Sawatzki: Der Blick fremder Augen (Droemer)

Eine Tote lehnt am Stamm einer Kiefer, die Kehle durchgeschnitten, und ein toter Hund ist bei ihr. Es ist die Vermieterin, die ihrer Mieterin die Kündigung angedroht hat. Und das erfahren wir Leser sehr viel schneller als die Polizei. Andrea Sawatzki schildert in ihrem Buch, wie eine junge Frau nach einer schwierigen Kindheit und einer Fehlgeburt geistig abdreht. Katrin hat Angstzustände, und sie bezieht jeden dummen Spruch und jeden schiefen Blick in ihrer Umgebung auf sich. Wie in einem Film wechseln die Szenen, kurz, drastisch, cut – und immer enger wird der Horizont der Kranken. Die Figuren, die Sawatzki zeichnet, sind zumeist ziemlich holzschnittartig angelegt. Das gilt nicht nur für die Gestalten, die die Kranke verzerrt wahrnimmt, sondern beispielsweise auch für den weichgespülten Oberkommissar Steffen Müller an der Seite ihrer Ermittlerin, der Kommissarin Melanie Fallersleben – im Buch wird sie kurioserweise auch „Falkenberg“ genannt. Und wie kann es sein, dass ein Oberkommissar Assistent einer Kommissarin ist? Bei allem Lesesog – aber hier hätte das Lektorat mehr Sorgfalt walten lassen sollen. Die handwerklichen Mängel sind so groß, dass sie das Lesevergnügen doch deutlich beeinträchtigen. Schade! 

Prädikat: *

Jörg Maurer: Felsenfest (Fischer)

Ein Klassentreffen mit Höhepunkt: Die Teilnehmer steigen gemeinsam auf einen Berg. Doch auf dem Gipfel, hoch droben über einem idyllischen alpenländischen Kurort, verwandelt sich einer von ihnen in einen maskierten, brutalen Geiselnehmer. Er verlangt nach Informationen, was ziemlich seltsam erscheint, und stürzt eine Geisel in den Abgrund hinab. 
Wer ist der Täter, und was will er eigent- lich? Das fragt sich Kommissar Jennerwein, nachdem die Polizei die Geiselnahme beendet und alle Beteiligten erst einmal festgesetzt hat. Dummer- weise kennt er die gesamte Truppe; es sind seine früheren Klassen- kameraden. Der sechste Alpenkrimi von Bestseller-Autor Jörg Maurer bietet Unterhaltung auf höchstem Niveau. Er spielt mit süddeutschen Befindlichkeiten, und führt dank uralter Verträge das Werdenfelser Land an den Rand einer Staatskrise. Ach ja, und natürlich wird der Geiselnehmer gefasst. Dass dieser Ermittler mittlerweile Kultstatus hat, verblüfft nicht. 

Prädikat: ***

Johanna Marie Jakob: Das Erbe der Äbtissin (Knaur)

Die ehemalige Äbtissin Judith und der maurische Arzt Silas fliehen über die Alpen nach Italien. In einer einsamen Hütte in den Bergen vertraut ihnen eine sterbende Frau ihr Kind an: Luna hat schlohweißes Haar, blaue Augen – und wundersame Fähigkeiten. Die Flucht misslingt, in Salerno nimmt Markward von Annweiler sie gefangen und bringt sie in das Lager von König Heinrich VI. Dort werden Ärzte gebraucht, denn unter den Belagerern von Neapel grassiert das Fieber. Auch Heinrich ist schwer erkrankt. Johanna Maria Jakob schreibt mit diesem Buch die Geschichte der Judith von Lare weiter, die sie in Das Geheimnis der Äbtissin als Vertraute der Beatrix eingeführt hat, der jungen Frau des Kaisers Friedrich Barbarossa. Spannend und detailreich erzählt
die Autorin, und sie lässt ihre Helden die historischen Ereignisse im 12. Jahrhundert an der Seite Heinrichs erleben – bis zu seinem Tod in Messina, wo er 1197 bei der Vorbereitung eines Kreuzzuges der Malaria erlag. 


Prädikat: ***

Freitag, 22. Januar 2016

Sandra Lessmann: Die Winterprinzessin (Knaur)

Die Zeit nach dem Ende des Bürgerkrieges zwischen den Anhängern des Parlamentes und den Royalisten war konfliktreich. Um seine Position zu stärken, schloss der englische König Karl II. mit dem französischen König Ludwig XIV. den Vertrag von Dover. In diese Situation führt uns dieser historische Roman von Sandra Lessmann: Auf der Rückreise von Frankreich ist ein Bote des englischen Königs verschwunden. Das ist für Charles ein hohes Risiko, denn der Briefwechsel zwischen Charles und seiner Schwester Henriette-Anne, der Schwägerin von König Louis, enthält brisante Details. Und so sendet Charles den Jesuitenpater Jeremy Blackshaw nach Paris; er soll sowohl die verlorene Korrespondenz als auch den Boten finden. Nach Frankreich reisen auch Amoret de St. Clair, eine frühere Maitresse des Königs, mit dem französischen Hof ebenfalls bestens vertraut, und ihr Mann Breandán Mac Mathúna, ein Ire, der bis auf weiteres den Botendienst übernehmen soll. Die Mission ist gefährlich, wie alle Beteiligten bald feststellen müssen. Ein spannender Roman, sorgfältig recherchiert und gekonnt erzählt.

Prädikat: ***

Sam Eastland: Roter Schmetterling (Knaur)

Auf der Jagd nach dem Bernsteinzimmer sind nicht nur Hitlers Truppen. Auch Stalin schickt seine Leute aus: Inspektor Pekkala soll verhindern, dass das berühmte Geschenk des preußischen Königs an den Zaren in die Hände der Nazis fällt. Dabei soll ihm Leutnant Tschurikowa assistieren, eine Kunstexpertin, die auch den Gegen- spieler kennt, den deutschen Professor Gustav Engel. Sie werden durch die Front nach Zarskoje Selo gebracht. Was Pekkala nicht weiß: Tschurikowa ist für die Nazis tätig. Was wiederum Tschurikowa nicht ahnt: Die Nazis brauchen sie nicht mehr, nachdem sie verraten hat, wie die Bernstein-Tafeln transportfähig gemacht werden können. 
Sam Eastland bringt in seinem jüngsten Kriminalroman Inspektor Pekkala zurück an den Zarenhof, an dem das Smaragdauge einst im Dienste des Zaren tätig war. Es könnte der letzte Fall sein, der ihm von Stalin aufgezwungen worden ist – obwohl der Diktator nicht daran glauben will, dass die verkohlte Leiche, die neben dem Lkw gefunden wurde, auf dem das Bernsteinzimmer verbrannt ist, die seines Meisterspions sein soll. Das Unbehagen beim Lesen will allerdings auch bei diesem Band nicht verschwinden. Auch wenn er gut gemacht ist - aber es ist schauderhaft, eine Kulisse wie diese für einen Krimi zu nutzen.  

Prädikat: **

Stefanie Baumm: Am Anfang war der Tod (Droemer)

25 Jahre lang hatten sich Vater und Sohn nicht mehr gesehen: Eckhard Falkner, Pastor in dem norddeutschen Dörfchen Moorbek, und Leif Falkner, ehemals BKA, jetzt mit dem Motorrad unterwegs nach Skandinavien. Weil sein Vater ihn darum gebeten hat, ist Falkner zurück in die Heimat gekommen. Doch was er ihm mitteilen wollte, das bleibt unausge- sprochen. Denn Falkner findet den Pastor mit zertrümmertem Schädel, in seiner Kirche liegend. 
Die Dorfbewohner sind nicht sehr mitteilsam. Die Kieler Kommissare Stahl und Harms treffen überall auf eisiges Schweigen. Seltsame Dinge geschehen in Moorbek – doch niemand will etwas gesehen oder gehört haben. Falkner versteht zwar, was vorgeht. Aber auch er hat kein Interesse daran, vor einen Richter zu bringen, was die Moorbeker lieber unter sich ausmachen. Stefanie Baumm zeigt in diesem beklemmenden Krimi, wie Menschen mit Schuld umgehen, die sie auf sich geladen haben – und was das Schweigen anrichtet. Gruslig! 

Prädikat: ***

Mechtild Borrmann: Wer das Schweigen bricht (Droemer)

Im Nachlass seines Vaters findet Robert Lubisch das Foto einer schönen Frau – und den SS-Ausweis eines Unbekannten. Blutbefleckt, das Photo unkenntlich, der Name lautet „Wilhelm Peters“. Auf der Rückseite des Photos steht der Name eines Ateliers in Krankenburg am Niederrhein. Lubisch geht auf die Suche nach der Unbekannten, um ihr die Papiere zu bringen – und er ahnt nicht, dass er damit in ein Wespennest sticht: Sechs Nachbars- kinder sind sie einst gewesen. Doch dann kam der Krieg. Und nichts blieb so, wie es zuvor war. Eine Geschichte von Eifersucht und Verrat, gekonnt erzählt von Mechtild Borrmann. Die Autorin zeigt, dass kleine Ursachen oftmals verheerende Aus- wirkungen haben. Aus dem ländlichen Idyll erwächst eine geradezu klassische Tragödie, die letztendlich das Leben aller Beteiligten zerstört – selbst Lubisch muss erkennen, dass sein Vater, der erfolgreiche Bauunternehmer Friedhelm Lubisch, ein Phantom war. 

Prädikat: ****

Freitag, 8. Januar 2016

Jung Chang: Wilde Schwäne (Droemer)

Von den Frauen ihrer Familie und ihrem Leben in China berichtet Jung Chang. Noch ihre Großmutter hatte gebundene Füße. Sie war die Tochter eines Polizeibeamten aus der Mandschurei, und wurde 1924 die Konkubine eines Provinzgenerals. Nach seinem Tode heiratete sie einen Arzt. In den Wirren der damaligen Zeit, mit wechselnden Herrschern – Japanern, Russen, den Kuomintang – wuchs ihre Mutter auf. Sie lernte fleißig, und wurde eine Revolutionärin. Sie heiratete dann auch einen hohen Funktionär, was die Familie allerdings nicht schützte, als Mao erst den „Großen Sprung“ ausrief, und dann die Kulturrevolution. Jung Chang, selbst einst Mitglied der „Roten Garden“, zeigt in ihrem Buch, wie durch die rücksichtslose Umsetzung politischer Ideen Millionen Menschen ums Leben kommen, und welches Leid die Überlebenden zu ertragen haben. Vieles deutet sie nur an – doch es bleibt schrecklich genug. Wer etwas über die Geschichte Chinas in den letzten hundert Jahren lernen möchte, der muss dieses Buch unbedingt lesen. 

Prädikat: *****

Arnold van de Laar: Schnitt! (Pattloch)

Mut, Autorität, Wissen, Geschick und Erfahrung – so beschreibt Arnold van de Laar die Voraussetzungen für einen Beruf, der erstaunlich alt ist: Auch wenn er noch nicht so hieß – aber ein cheirourgos, abgeleitet von cheiros für Hand und ergon für Werk/Arbeit, wird wohl schon in prähistorischer Zeit Wunden, Abszesse und Knochenbrüche versorgt haben. 
Anhand von 28 Operationen erzählt der niederländische Chirurg die Geschichte seines Faches. Vom Steinschneiden und der Wundversorgung auf dem Schlachtfeld, in den dunklen Anfangszeiten der Chirurgie, als noch ohne Betäubung amputiert wurde, bis hin zur modernen minimalinvasiven Operation erläutert er, was genau geschieht und worauf es dabei ankommt. Und damit sein Buch nicht nur interessant ist, sondern auch unterhaltsam, hat van de Laar dafür einige berühmte Fälle ausgewählt, vom persischen König Darius über Präsident Kennedy bis hin zu Papst Johannes Paul II. 

Prädikat: *****

Assaf Gavron: Auf fremdem Land (Luchterhand)

Rucola und Kirschtomaten für seine Frau ziehen und eine Ziege halten – das möchte Etaniel Asis. Und so sucht er sich ein Plätzchen, irgendwo hinter Jerusalem: Im Westjordanland, am Fuße eines Hügels, halb im Naturschutzgebiet, teils auf dem Grund des benachbarten arabischen Dorfes, teils in der militärischen Sicherheitszone, findet er ein freies Feld. Und weil es so idyllisch ist, stellt er bald auch seinen Wohnwagen dort ab. Lang bleibt er nicht allein, andere Siedler kommen hinzu, eine Straße wird gebaut, ein Generator aufgestellt und ein Wasserturm errichtet. Ein Kindergarten entsteht, und eine Synagoge, die Jahre gehen ins Land. 
Als die Behörden von der Siedlung erfahren, wird festgestellt, dass sie nicht genehmigt ist – aber zugleich gibt es auch keine Genehmigung, die Wohnwagen wieder zu entfernen. Assaf Gavron erzählt in seinem Roman vom absurden Alltag im besetzten Gebiet. Eine Geschichte wie die von Ma’aleh Chermesch 3 gibt es so nur in Israel – und wer Israel verstehen will, der sollte dieses Buch gelesen haben. 

Prädikat: ****

Alex Kershaw: Der Befreier (dtv)

„Bei einer Recherche stieß ich auf ein außergewöhnliches Foto“, berichtet Alex Kershaw. „Es stammte vom 29. April 1945. Darauf war ein junger amerikanischer Offizier zu sehen, Felix Sparks. Er steht auf einem Kohlelagerplatz in Dachau. Einige seiner Männer haben das Feuer auf SS-Soldaten eröffnet. Er schießt mit seiner Pistole in die Luft und hebt abwehrend die Hand.“ 
Der Autor ging auf die Spurensuche – und zeichnet in diesem Buch das Porträt eines außergewöhnlichen Menschen: Felix Sparks (1917 bis 2007) stammte aus einer bitterarmen Bergarbeiterfamilie in Arizona. Er ging zur Army, weil er zur Zeit der Depression keine Arbeit fand. Sparks studierte Jura; er wurde erneut einberufen, als die USA 1941 in den Krieg eintraten. Und er kämpfte in Europa buchstäblich vom ersten bis zum letzten Tag: Sparks nahm teil an der Landung auf Sizilien 1943. Er war der einzige Überlebende seiner Einheit bei der Schlacht von Anzio, er überlebte die deutsche Ardennenoffensive, den Häuserkampf in Aschaffenburg und kommandierte die Einheit, die Dachau befreite. 
Warum verhinderte er die Ermordung der SS-Männer, obwohl seine Soldaten doch gerade eben bei der Befreiung des Konzentrationslagers furchtbare Dinge erlebt und gesehen hatten? Wie kann man über 500 Tage in einem brutalen Krieg verbringen, und dennoch in einer sol- chen Situation seine Menschlichkeit bewahren? Eine beeindruckende Romanbiographie – und eines der wichtigsten Bücher über den Zweiten Weltkrieg überhaupt. 

Prädikat: *****

Donnerstag, 7. Januar 2016

Caren Benedikt: Die Rache der Duftnäherin (Knaur)

„Komm, lass uns das Gewand fertig- schneidern.“ Bremen im 14. Jahrhundert: Die junge Anna arbeitet als „Duftnäherin“ – sie näht Seife in die Säume der von ihr gefertigten Kleider. Caren Benedikt zeichnet ein Bild vom Leben in der Hansestadt, das mit der Realität so viel zu tun haben dürfte wie die Simpsons mit dem US-Präsidenten. Aber ihre Geschichte liest sich spannend und ist unterhaltsam.

Prädikat: *

Tatjana Kruse: Der Tod stickt mit (Knaur)

Es geht hoch her im Hause Seifferheld: Die ganze Familie ist um den Frühstückstisch versammelt – Gurnd genug für den Kommissar a.D., das Weite zu suchen. Zu tun gibt's genug. Denn in der Kunsthalle Würth beobachtet er verdächtige Gestalten – und kurz darauf wird ein Galerist tot aufgefunden. Tatjana Kruse hat wieder einmal eine launige Geschichte mit ihrem stickenden Helden zu Papier gebracht, die man mit einem Schmunzeln liest. 

Prädikat: ***

Gabriella Engelmann: Apfelblütenzauber (Knaur)

Sechs Jahre lang hat Leonie gemeinsam mit Nina und Stella in einer Hamburger Villa gewohnt. Doch dann wird alles anderes. Denn die Wohngemeinschaft funktioniert nicht mehr. Leonie verliert ihren Job. Und dann trennen sich auch noch ihre Eltern, so dass Leonie ihrem Vater bei der Arbeit auf dem Apfelhof aushelfen muss; Pension und Hofladen wollen schließlich bewältigt sein. 
In der Heimat versucht Leonie, ihr Leben neu zu ordnen. Die Aussichten sind gar nicht so schlecht: Ein Meer von rosa-weißen Blüten, hübsche Fach- werkhäuser und romantische Eckchen am Fluss – fasziniert entdeckt Leonie das Alte Land neu. Und ein Märchenprinz stellt sich natürlich auch ein. Nette Unterhaltung, plus ein paar leckere Rezepte! 

Prädikat: *

Judith Merchant: Rapunzelgrab (Knaur)

Am Fuße des Hexenturms liegt eine Frauenleiche mit langen blonden Zöpfen. Ein Märchenmord! denkt Kriminal- hauptkommissar Jan Seidel sofort, als er den Tatort in Rheinbach sieht. Bald stellt er fest, dass die Tat irgend etwas mit einem Kreis von Schriftstellern zu tun haben muss, die allesamt höchst seltsam und vor allem auch literarisch höchst belanglos sind. Im dritten Buch ihrer Rheinkrimi-Serie spart Judith Merchant nicht an Kollegenschelte. Doch wer im Glashaus sitzt, der sollte nicht allzu kühn mit Steinen werfen – allzu viele Seiten gibt der Plot nämlich nicht her. Und der Rest ist Langeweile. 

Prädikat: *

Heike Eva Schmidt: Die Spionin des Königs (Knaur)

Heinrich von Rosenberg will für das kleine Gut im Fränkischen einen Erben – und schon wieder hat ihm seine Frau eine Tochter geboren. Kurzerhand beschließt er, sie als Junge aufzuziehen. Und so lernt „Florentin“ statt Kochen und Sticken das Reiten und die Verwaltung eines Gutes. Auch auf das Fechten versteht sie sich virtuos. Florentine stellt bald fest, dass das Leben als Mann enorme Vorteile bietet. Und so bleibt sie auch nach dem Tode ihres Vaters in der erlernten Rolle – gegen den Willen ihrer Mutter, die ihr nun Tanzunterricht erteilen lässt, um doch noch eine Heiratskandidatin aus ihr zu machen. Diesen Plänen entzieht sich Florentin durch die Flucht, und das Glück ist ihr hold, denn dank ihrer Reitkünste erhält sie eine Stelle am preußischen Hof. Schon bald schätzt König Friedrich II. nicht nur den Pferde- verstand seines Stallburschen. Florentin wird sein Spion am Hofe des Zaren – ein turbulenter Roman um Geschlechterstereotype, unterhaltsam, und natürlich mit dem erwarteten Happy-End. 

Prädikat: **

Mittwoch, 6. Januar 2016

Andreas Föhr: Wolfsschlucht (Knaur)

Kommissar Clemens Wallner soll gleich zwei mysteriöse Fälle lösen: Ein Bestattungsunternehmer versinkt mitsamt seinem Leichenwagen in der Mangfall. Und eine junge Frau verschwindet. Nur ihr Auto wird gefunden, droben im Gebirge, aufgespießt von einem Maibaum. Allerdings stellt sich bald heraus, dass der Bestatter nicht ertrunken ist, sondern erschossen wurde. Ins Spiel kommen zudem eine Hexe, ihr ehemaliger Lover, ein chronisch klammer Psychiater – und Wallners anarcho-bayerischer Kollege Leonhardt Kreuthner, der mit seinen Spezeln diesmal ziemlich viel Unfug angestellt hat, was der Staats- anwalt gar nicht komisch findet. Der Leser schon. Saukomisch! 

Prädikat: ***

Tan Twang Eng: Der Garten der Abendnebel (Droemer)

Es war Zufall, dass Teoh Yun Ling einst aus dem japanischen Internierungslager ent- kommen konnte. Ihre Schwester hingegen starb, so wie alle anderen Gefangenen. Teoh fühlt sich schuldig – und studiert Jura. Zunächst arbeitet sie als Anwältin für ein Tribunal, das japanische Kriegsverbrecher verurteilt. Dann wird sie Richterin, und die erste Frau, die an den Obersten Gerichtshof von Malaysia berufen wird. Als sie feststellt, dass ihre Erinnerung schwindet, kehrt sie zurück an jenen Ort, der ihr von jeher besonders wichtig war: Yugiri, ein japanischer Garten hoch in den Bergen. 
Denn ihre Schwester liebte die japanische Gartenkunst. Und so bat Teoh vor vielen Jahren Aritomo, der wie ein Einsiedler in Yugiri lebte, einen Garten für die Tote anzulegen. Der Künstler, einstmals Hofgärtner des Kaisers, lehnte aber ab – und bot ihr an, sie als Lehrling zu unterzuweisen, so dass sie selbst den Garten anlegen könnte. Autor Tan Twan Eng führt uns Leser in eine fremde Welt, in der sich sehr unterschiedliche Kulturen begegnen, überschneiden, und miteinander auskommen müssen. Und im Werden und Vergehen des Gartens spiegeln sich die Zeit, das Leben – und die Träume. Ein großartiges Buch. 

Prädikat: *****

Dienstag, 5. Januar 2016

Slimane Kader: Ocean King (Droemer)

Ein junger Mann, halb Franzose, halb Algerier, will der Pariser Vorstadt entkommen. Also heuert er auf einem Kreuzfahrtschiff an – als Hilfskellner, wie er meint. Dieser Irrtum korrigiert sich bald, denn statt einer schmucken Uniform gibt’s Drillich, und an Arbeit alles, was gerade so anfällt – vom simplen Aufwischen bis zum Reinigen von Schwimmbad-Reinigungsrobotern, und vom Vergiften von Schaben bis zum Anfertigen leckerer Grillspieße in der Küche. 14 Stunden am Tage, sieben Tage in der Woche. Der Job verändert den Mann: „Joker sein ist eine Art Militärdienst“, schreibt Slimane. „Nach ein paar Wochen erfasst dich dieses ganz bestimmte Gefühl. Du begreifst es nicht gleich … (..) Und dann … beginnt die Sache dir zu gefallen! All die beschissenen Arbeiten fühlen sich plötzlich an wie das Fastenbrechen. Du willst mehr davon! Und weißt du, warum? Weil du beim Arbeiten jeden Tag weißt, was du zu tun hast. Du weißt, warum du es tust und wie du es tust. Das Leben wird sichtbar. Es gibt keine Überraschungen. Keinen Stress. Du bewegst dich innerhalb einer Ordnung, und das ist das pure Glück.“ 
Der Joker steigt auf, aus dem Bauch des Schiffes geht es allmählich an Deck. Doch das ist nicht wirklich wichtig. Viel wichtiger ist die Tatsache, dass der Autor dieses Buches grandios erzählt. Selbst wenn er oftmals so naiv herumtapst, dass es fast peinlich ist – wie er das schildert, das ist hohe Kunst, und man drückt ihm unwillkürlich beide Daumen, für seine Zukunft in der Literatur. Denn die braucht solche Stimmen. 

Prädikat: *****

Martin Walker: Schatten an der Wand (Diogenes)

Ein seltsames Fundstück soll eine Kunsthistorikerin in einem Londoner Auktionshaus untersuchen. Es ist ein Stein mit einer Höhlenzeichnung, und er stammt nicht, wie die junge Frau zuerst denkt, aus den Höhlen von Lascaux. Die Spuren führen ins Périgord, und wer ihnen folgt, der kommt Leuten aus den höchsten Kreisen in die Quere. Martin Walker berichtet in seinem frühen Roman von der Entstehung eines prähistorischen Kunstwerkes, und von einem Verbrechen zur Zeit der Résistance, das nachwirkt bis in die Gegenwart. Gekonnt erzählt, und auch inhaltlich überzeugend.

Prädikat: ****

Lea Singer: Der Opernheld (dtv)

Der Jurist Moritz Redder führt ein geordnetes Leben – effizient in der Kanzlei, neurotisch nach Feierabend. Eines Tages aber erfährt er, wer wirklich sein Vater war und warum seine Mutter wurde, wie sie war. Der Schock ist so groß, dass Redder die Schallplatten, die er bei den Briefen findet, anhört, anstatt sie zu entsorgen. Und die Stimme von Maria Callas fasziniert ihn derart, dass Redder seine Existenz aufgibt. Er reist nach Italien, nennt sich Maurizio Salvatore und stellt fortan jungen Opernsängerinnen nach – was zwar diverse Probleme mit sich bringt, aber noch keine ausreichende Basis für ein Buch diesen Umfanges. Albern! 

Prädikat: -

Montag, 4. Januar 2016

Jean-Luc Bannalec: Bretonischer Stolz (Kiepenheuer & Witsch)

Austern, Wind, Sand und bretonische Traditionen – das ist der Stoff, aus dem Jean-Luc Bannalec einen exquisiten Krimi geschaffen hat: Beim Spaziergang entdeckt eine eigensinnige alte Filmdiva die Leiche eines Mannes. Doch als die Polizei eintrifft, ist dort nichts. Dafür wurde in den sagenumwobenen Hügeln der Monts d’Arrée ein Toter gefunden – den aber niemand kennt. Die Spuren führen nach Schottland, zu den Druiden und zur Sandraub-Mafia, was Kommissar Dupin durchweg wenig überzeugend findet. Und so befragt er weiter die Austernzüchter. Die Lösung des Rätsels aber liegt so nahe, das man sie beinahe hätte übersehen können. Superspannend! 

Prädikat: ***

Krischan Koch: Rollmopskommando (dtv)

„Rollmops to go“ bietet der Stehimbiss an der Fredenbüller Dorfstraße. Sonst ist nicht viel los in Nordfriesland auf dem Lande – doch bevor Polizeiobermeister Thies Detlefsen beginnt, sich zu langweilen, kommt unerwartet das Verbrechen ins Idyll: Im Nachbarort Schlütthorn wird die Raiffeisenbank überfallen. Dabei wird Oma Ahlbeck als Geisel genommen, und es verschwindet ein ordentlicher Batzen Geld. Außerdem finden sich zwei Leichen – eine Zahnärztin, und die Geliebte eines Professors, der im Ort ein hübsch gestyltes Landhaus besitzt. Beide hatten ein Konto bei der Raiffeisenbank, und beide hatten mit dem Filialleiter ein Hühnchen zu rupfen. Was aber hat das mit den Bankräubern zu tun? Krischan Koch hat einen kapriziösen Küsten-Krimi geschrieben, köstlich komisch – so macht Landleben Laune! Passt als Urlaubslektüre genial. 

Prädikat: **

Iny Lorentz: Die steinerne Schlange (Knaur)

Als Schauplatz hat Iny Lorentz diesmal Germanien ausgewählt. Das Münchner Autorenpaar begleitet die Römer zur Zeit Caracallas bei ihrem Versuch, ihre Herrschaft – die bisher am Limes endet – weit ins Land der germanischen Stämmme hinein auszuweiten. Der römische Statt- halter fordert aber von den germanischen Nachbarn nicht nur Hilfstruppen, sondern auch die junge Gerhild, Tochter eines Stammesfürsten, zur Geliebten. 
Diese verlangt, dass der Römer um sie kämpfen soll – und tritt gleich selbst im Speerwurf gegen ihn an. Dummerweise gewinnt sie. Damit blamiert sie den Heerführer ebenso wie ihre Brüder. Insgesamt erweist sich Gerhild oftmals als weit vorausschauender als die Männer. Das macht sie zu einer  gefragten Anführerin im Abwehrkampf der Germanen. Mit einer kleinen Schar zieht sie sich ins Sumpfland zurück. Doch wie sind die gut ausge- bildeten römischen Truppen zu besiegen? Ein spannender Roman, überzeugend erzählt vor historischer Kulisse. 

Prädikat: ***

Robert Kisch: Möbelhaus (Droemer)

Ein Journalist, etabliert und bereits im Status einer „Edelfeder“, verliert seine gut dotierte, ach so kreative Stelle. Also sucht er sich einen Job. Das ist etwas, was anderen Leuten durchaus auch passiert. Der Kollege findet tatsächlich eine Möglichkeit, seine Brötchen zu verdienen: Er arbeitet als Möbelverkäufer, in einem Industriegebiet in der Provinz. Und er leidet so schrecklich unter dieser Tätigkeit, dass er ein Buch darüber schreiben musste. Pseudonym: Kisch, natürlich. Mir kommen die Tränen. Wenn nur der Text ebenso grandios wäre wie das Ego des Autors!

Prädikat: -